Arbeitsjournal. Dienstag, der 11. Dezember 2007.

6.18 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Das wurde gestern spät in der Bar bei dem Treffen mit U., dem Profi und Kerstin Thomiak, die ein Jahr lang als NATO-Presse-Beauftragte bei der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt war und viel zu erzählen hatte, wobei sie einiges logischerweise nicht erzählen d a r f; immerhin bekam man mit, was die Soldaten da eigentlich tun. Dennoch gab es politischen Dissenz, als sie sagte: „Wir tun da viel Gutes“ und ich aber auch sofort konterte: „Nachdem ‚wir‘ das Land auseinandergeschossen haben“ – „Wir nicht“ – „Die US-Amerikaner“ – „-…und zerstört haben das Land die Taliban lange schon vorher“ – „… die von den USA als Boller gegen die Sowjetunion aufgebaut waren und quasi auf der payroll der USA gestanden haben“ – „Aber ohne uns wäre da jetzt n u r noch Elend“ – „ja sicher, wir helfen aufbauen, wo wir – oder unsere NATO-Paktler – erstmal dafür gesorgt haben, daß es auch was wiederaufzubauen g i b t“ usw. -. Dennoch, die Sehnsucht, die Thomiak mir gestern abend aufs Herz gelegt hat, ist ganz ungeheuer; ich mußte nur wieder die Jeps sehen, die durch den Fluß fahren und halb absaufen, die Basare, die Gesichter allein, daß die ganze Sehnsucht eben wieder hochkam: nach etwas, mit dem man handfest kämpfen kann, das man beiseiteräumen kann und muß, Steine, die im Weg liegen, auf Pferden geritten, der Geruch, die Hitze, auch die Angst vor Anschlägen, Lebensgefahr allgemein, dieses nahe Spüren davon, daß man lebt – ein völliger Gegenentwurf zu unserer Rentenversorgungs- und sonstigerAbsicherungsgesellschaft, in der man den Kontakt zur Erde, fühle ich, verliert. Die Erzählungen (allein ein Name wie Khaiber-Paß!) ließen mich an meine Aufstiege zum ausbrechenden Ätna denken, an die einwöchige Tour, die Do und ich 1986, zur Zeit der härtesten ANC-Rebellionen, durch die rein-schwarzen Homelands unternahmen oder daran, wie wir auf Dominica mit dem Jeep einen (ausgetrockneten) Wasserfall hinunter- und, ich weiß nicht mehr wie, wieder hinauffuhren…. man merkt dann so, wie abgeschnitten man ist hier im ja, lebensfernen Westen… und der Profi erzählte aus seiner Zeit im Sudan, wo er Entwicklungshelfer gewesen, und daß er fast drei Jahre gebraucht hatte, nach seiner Rückkehr nach Deutschland, sich hier in die Probleme wieder einzufinden, weil sie so lächerlich, weil sie so alles andere als Probleme s e i e n. Sind. Als Thomiak erzählte, wurde mir die Lächerlichkeit meiner eigenen finanziellen Misere bewußt, wie absurd es ist, da zu klagen, wenn man ja doch immer irgendwie durchkommt, die ganze Ambivalenz, die ein Rechtssystem bietet, das einen prinzipiell schützt, und ich bin mir gar nicht sicher, ob das nicht letztlich aus dem Menschen etwas ganz Wichtiges herausnimmt, ihm nimmt und ihn dadurch reduziert.
Das wirbelt in meinem Kopf. Ich habe dann nur gesagt: „Ich beneide dich so“. In der Tat, hätte ich nicht Familie, ich ginge auch, ginge sofort, ginge, mich auf dem Absatz drehend, irgendwo hin, wo Hände gebraucht werden, ob zum Hausbau, ob zum Töten, einerlei. Insofern sind die in Afghanistan stationierten Soldaten zu beneiden.
Ein schöner böser Satz noch von Thomiak, die es übrigens hier nicht mehr recht aushält und zurückwill, der die zwei Monate Deutschland, die sie nun hier ist, reichen, „diese politische Korrektheit, dieses Getaste, dieses Watteleben“, gegen den Geschmack gehen… also der schöne Satz: „Krisen sind krisensicher“, womit sie meinte, daß man Jobs für Krisengebiete letztlich nie verlieren werde. Und ich notierte, als ich nachts nach eins heimkam, noch >>>> dieses. (Ich gebe zu, ich war gestern abend erbittert damit; heute morgen scheue ich mich eigentlich, es einzustellen. Ich tu es dennoch. Als Paralipomenon trifft der Aphorismus in seiner Zuspitzung etwas; als Normaussage ist er falsch. Aber w a s er trifft, muß gesagt werden dürfen.)

Gestern nachmittag unterbrach ich die Arbeit, weil mein Junge seine erste Judo-Prüfung hatte (weißgelber Gürtel) und ich dabeisein wollte. Die Musikschule rief neulich an: ab Januar hat er nun einen Cello-Platz. Das sind Vorzüge der Sicherungsgesellschaft, gar keine Frage. Nachteile sind, daß mein >>>> UMTS wieder >>>> nicht geht, nachdem der Empfang gestern über den ganzen Tag einwandfrei war. Mit GPRS bin ich aber immerhin im Netz.
Heut früh muß ich meinem Jungen noch schnell den Kyo-Gürtel besorgen, damit er ihn heute mittag zum nächsten Judotraining hat. Außerdem will ich einen Beschwerdebrief über seine Hortleiterin schreiben; es würde jetzt zu weit führen, das Vorkommnis zu erzählen, es ist auch letztlich Kleinscheißerei; aber da die Frau sie nicht halten kann, braucht sie ein Anti-Diarrhoeticum. Danach korrigier ich die Zweite Vorlesung auf dem Papier.
Guten Morgen. Bin spät dran.

13.49 Uhr:
[Vor dem Mittagsschlaf.]
Nur Müll-Post erledigt, böse Briefe: einen an Moobicent, wo mir heute früh ein Mitarbeiter unverschämt quer kam und mich, was schlimmer ist, für dumm halten wollte; einen ans Opernnetz, wo mich nun der Herr Christoph Schulte im Walde tatsächlich rauszuekeln schafft; einen an den Leiter der Schule meines Jungen, weil die Hortleiterin ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkam und auch noch patzig am Telefon wurde. Das hat drei Stunden gekostet. Immerhin läuft nun Moobicent’s UMTS wieder, ich bin entzückt.
Dann was essen, auf zwei Kommentare reagiert, jetzt muß ich dringendst schlafen und dann die Zweite Vorlesung auf dem Papier korrigieren. Zum Packen für Heidelberg komme ich erst morgen früh.

19.01 Uhr:
[Am Terrarium.]
Ich habe mich entschlossen, mir >>>> ferromonte nunmehr als meinen persönlichen Hausfeind >>>> zu halten, etwa so, wie jene antiken Feldherren taten, die, kehrten sie siegreich heim, ihre Narren sich im Triumphzug vorandackeln ließen, damit ihre Schande ihnen verkündete werde… wobei mich ferromontes Naturverständnis eigentlich rührt, das unentwegt an Rousseaus Guten Naturbrüsten saugt und meint, >>>> Melanie Klein werde niemals geschehen…

19.11 Uhr:
>>>>> Das hat auch was Zwanghaftes, gell? Er kann es einfach nicht lassen, das muß geradezu eine N o t sein.

21.14 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Bin wieder hierher gefahren, weil ich unbedingt noch arbeiten muß; selbst gepackt ist noch nichts, und meine S-Bahn, die mich zum ICE bringt, geht morgen früh bereits um 9.17 Uhr. Werde also noch etwa drei Stunden arbeiten, vor allem in die Zweite Heidelberger Vorlesung meine Korrekturen vom Papier übertragen, sie dann noch einmal, endgültig für den Vortrag, ausdrucken und damit beginnen, ihre Netzversion vorzubereiten, inkl. Links, die ich am Donnerstag abend zeitgleich zur Vorlesung hier in Die Dschungel einstellen will. Im ICE dann selbst will ich >>>> die literarische Lesung, die morgen abend stattfindet, vorbereiten.
(Mein UMTS funktioniert momentan, seit mittags.)

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