Arbeitsjournal. Sonnabend, der 15. Dezember 2007. Hausach.

5.10 Uhr:
[Hausacher Hegerfeld. Schlaf- und zur Arbeit improvisiertes Zimmer.]

Wie gut jetzt, daß nach all den Jahren >>>> im vergangenen Sommer Versöhnung war (und wie das Wort jetzt stimmt), ich hätte von der Erkrankung meiner Mutter sonst gar nichts erfahren, geschweige tätig werden können. Sie kann derzeit so gut wie nicht gehen, und rauchen, das ärgert sie am meisten, darf sie jetzt auch nicht mehr, oder nur kaum mehr (tut sie halt doch, aber geradezu extremistisch wenig); also hab ich ein Nebenräumchen, mit weit offener Terrassentür, durch die’s scharfkalt hereinkommt. Das ist nicht schön, diese energische, immer noch energiegeladene Frau hilflos zu erleben, aber sie ist wie immer so klar wie die Winterluft, und es war geradewegs der Fall aller Fälle zu besprechen, „wohin möchtest du, wenn es anders nicht geht?“ Jetzt weiß ich bescheid und kann handelnd vorbereiten. Es eilt nichts, man muß halt nur wissen. Dieser eiserne Frauenpragmatimus, von dem ich, ich merke: je älter ich werde, einiges abbekommen habe, ist wie für Notzeiten gemacht. Dabei geht es nicht um den Geist, der ist völlig da, wie wenn sie noch vierzig wäre; es sind die pursten Albernheiten, die so etwas Quälendes haben, nein: quälen:: daß, wer an zwei Stöcken gehen muß, nicht mehr die Spülmittelpucks für die Geschirrspülmaschine auswickeln kann, daß sich der Vorratsbehälter für das flüssige Waschpulver nicht mehr vom Boden anheben und in die Öffnung der Waschmaschine eingießen läßt, daß man nur mit den größten Mühen die Beine auf das Sofa bekommt, daß das eigene Bett zu hoch ist, um noch hineinzukommen, also muß man im niedrigeren Gästebett schlafen; daß es ein Riesenproblem ist, die Musikanlage einzuschalten; daß es sich vor Schmerzen und, hat man das Medikament genommen, vor Juckreiz nicht auf ein Buch konzentrieren läßt – all sowas.
Die Geschehen erwischen einen von hinten. Man denkt an nichts Unrechtes, und es gibt einen Knacks, und noch einen – schon stehen die nächsten Jahre im Zeichen physischer Unbeweglichkeit. Die Geschehen erwischen einen aus dem Nichts, fast, und hat man den Geist behalten, darf man’s auch noch mit ansehen und sich Gedanken über seine Ohnmacht machen. – Ich habe, merke ich, auch die Unsentimentalität dieser Frau geerbt, die immer in schwierigen Lagen ganz besonders durchkommt. Da ist kein Gejammer, überhaupt nicht. Sie setzt sich hin und rechnet, wie lange was und wie durchzuhalten und wie irgend ein Bestes daraus zu machen ist. Nur daß dieses sichHinsetzen nach zehn Minuten physisch wehzutun beginnt und man sich umsetzt, aber nicht oder nur schlecht überhaupt hochkommt. Aber ich konnte klar fragen: „Was willst du – im Falle, daß?“ Diese spezielle Form von Unsentimentalität hat den Vorteil, daß man den anderen nicht über das Mitgefühl reduziert; man h a t es, selbstverständlich, aber man gibt dem einen eher schroffen Ton, damit es nicht ist, als redete man mit einem Kind; was der Betroffene ja auch nicht ist. Das geht bis zum Selbstspott. Nicht die Spur eines Ihr sollt werden wie die Kinder.
Ich werde nachher Grünkohl kochen, das hat sie sich gewünscht, wir essen ihn beide gern.

Heut früh geh ich erstmal wieder an die >>>> Scelsi-Variationen und schau, ob und wieweit ich mich wieder in sie hineinfinden kann. Und die >>>> BAMBERGER ELEGIEN sind wieder aufzunehmen; im Januar sollen sie abgegeben werden; >>>> dielmann traf ich ja am Mittwoch mittag in Frankfurtmain; er habe, sagte er, das Buch schon im Frühjahrsprogramm angekündigt, da gebe es kein Zurück mehr. An die Dritte Heidelberger Vorlesung begebe ich mich zwischen den Jahren; ich brauch einfach mal wieder das Gefühl, nicht nur Theoretiker, sondern noch Dichter-selbst zu sein. Und irgendwo liegt >>>> ARGO herum und will dann ebenfalls angegangen werden.
Guten Morgen, tutti insieme.

5.48 Uhr:
Witzig: Einer Fremden >>>> Tagebuch unterm Arbeitsjournal. Ich habe momentan überlegt, ob das paßt, dachte dann aber: Nein, laß das seiner/ihrer Wege gehen und schau, welch ein Biotop sich da im Eigensten entwickelt.

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