9.02 Uhr:
[Noch Am Terrarium.]
Bin nach dem (zu späten) Aufstehen einfach hier sitzengeblieben, um die ersten Fahnenkorrekturen an der AEOLIA zuendezubringen, nach ich gestern abend >>>> Ralf Schnell traf, der für drei Tage in Berlin und der Herausgeber des im Herbst zu ANDERSWELT erscheinenden >>>> horen-Bandes ist. Darüber sprachen wir einige Zeit, dann über Persönliches, schließlich kam noch der Profi in den Prater hinzu; dann nahm das Gespräch eigenartige Wendungen, erst einmal in Erinnerungen an Tokio und Japan (Schnell hat dort sieben Jahre lang an der >>>> Keio gelehrt, deren writer in redidence ich im Jahr 2000 gewesen bin), dann ging’s um mich und meine bisweilen irrationalen Überreaktionen. Mag ich jetzt nicht wiederholen. „Das finde ich inakzeptabel“, sagte Schnell. Ich: „Macht nichts; hat ja was für sich, wenn man verschieden ist.“ Der Alkohol tat ein übriges, vorher hatten wir eine ziemlich große Platte von den Sushis leergegessen.
Jetzt muß ich neue CDs kaufen, Kopien der Fahnen machen und an die Buchgestalterin schicken; danach setz ich mich an den Arbeitswohnungs-Schreibtisch und schreib an der Dritten Vorlesung weiter. Alles wird gut, sagte die Maus, als die Katze sie schluckte.
10.34 Uhr:
[Arbeitswohnung. Mahler, Neunte, Tennstedt.]
Fast ins averbale überführte Auseinandersetzung im PENNY-Markt: Solch ein alkoholgesichtiger Koloß, irre verhärmte Frau und dickes Mädchenkind, schiebt sich wie ein LKW, anstelle sich anzustellen, direkt vor mir in die Schlange. Da zu viel Mäuse auf zu wenig Platz ohnedies aggressiv sind, pfeif ich ihn an. Er: „Ich laß mich von dir doch nicht verarschen.“ Ich: „Arschloch.“ Er:“Ich stand schon lange vor dir da.“ Die anderen in der Schlange: „Das stimmt nicht.“ Er: „Hast du Arschloch zu mir gesagt?“ Ich: „Ja, und das sag ich wieder zu Ihnen. Es sei denn, Sie stellen sich brav hinten an. Dann nehme ich das Arschloch gerne zurück.“ Er steht nah davor, mir eine zu langen. Seine Frau ist derweil mit dem dicken Kind schon brav nach hinten gegangen. Er aber beharrt mit seinem LKW mitten in der Schlange. Der Junge von der Security kommt.“ Er: „Ich laß doch nicht Arschloch zu mir sagen!“ Seine Frau: „Nun komm doch hierher…“ Er: „Nee, dann geh ich raus und warte draußen auf den Vogel!“ Stapft ab, ich mach mich für eine Schlägerei, der ich wahrscheinlich unterliegen würde, bereit, hab aber eigentlich nur Angst um meinen Laptop im Rucksack. Doch draußen hat er sich ziemlich weit vom PENNY-Markt wegpositioniert. So komm ich völlig unbehelligt mit meinem Zeug aufs Rad. Im Vertrauen: Ich hab nicht die geringste Ahnung, ob ich auf diese Schlägerei nicht sogar L u s t gehabt hätte. Die hätte gar nicht diesen aufgeschwemmten Alkoholklotz gemeint, sondern eine ganz bestimmte Sorte Unterschicht insgesamt. Und, wie gesagt, ich hätte sicherlich verloren und wär mit ziemlich aufgeplatzten Brauen heimgekommen. Aber das wär egal gewesen. (Wobei ich, wenn ich jetzt nachdenke, das fast-Geschehen für eine Art Nachklapp zu dem Gespräch gestern abend halte. „Wenn mir jemand sagt: Nein, ich habe die Anweisung, das nicht zu tun“, obwohl es gar keinen anderen Grund gibt als eben diesen, etwas nicht zu tun oder zu tun, dann schwillt mir spontan die Zornesader, und zwar egal, aus welch noch so geringem Anlaß. Allein zu sagen Ich habe die Anordnung, also: Ich habe den Befehl macht solche Leute jenen gleich, die im Dritten Reich Anordnungen befolgten. Schnell: „Aber das ist doch was ganz anderes! Diese kleinen Angestellten haben doch nur Angst um ihren Job, und berechtigt.“ Ich: „Das hatte das Volk im Dritten Reich auch. Die hatten auch alle Angst um ihre Anstellung.“ Ich wittere da eine geradezu absolute strukturelle Identität. Und reagiere entsprechend, anstelle es wie der Profi zu halten: „Ja du meine Güte, l a ß die doch! Was schert es d i c h? Da hätte ich ja n u r noch Magengeschwüre, wenn ich mich über jedes solche aufregen würde…“ – Aber es ist schon wahr: daß ich das „einfache Volk“ liebe, kann man nicht wirklich behaupten.)
Der Mahler tut gut. Lange nicht mehr gehört. – Erst „sprang“ der Laptop eben mal wieder nicht an, aber mit etwas Geduld… und >>>> moobicents UMTS-Zugang funktioniert tadellos; man muß nur unter „Bevorzugtes Netz“ klickend darauf beharren, daß das UMTS-Netz auch und ausschließlich angewählt wird. Dann, um mal Computerjargon zu verwenden, funzts.
13.54 Uhr:
So, bis eben die AEOLIA neu umformatiert. Und rausgeschickt. Jetzt kann ich in Ruhe eine Stunde zu mittag schlafen…. Ah, >>>> Dielmann ruft an!
@ANH
Dieses widerwärtige Pack ohne Grips in der Birne begegnet man leider immer wieder, selbst wenn man glaubt, alle nötigen Vorkehrungen getroffen zu haben, um dem Mopp aus dem Wege zu gehen. – Sie haben übrigens völlig recht, wenn sie behaupten, dass sie den Anfängen aus Überzeugung selbst im kleinen Widerstand leisten wollen. Schließlich hat sich der Nationalsozialismus in der Entstehung in den frühen Zwanziger Jahren größtenteils aus dem Pöbel der Gesellschaft heraus gebildet, die wenig Bildung besaßen und somit besonders anfällig für rechtsextreme Tendenzen waren. Das größte Versäumnis der Weimarer Republik war es ja eben, dass sie die aufkeimende rechtsradikale Stimmung durch die NSDAP im Volk nicht rechtzeitig erkannt hat. Ich will nicht behaupten, dass es damals keine Zivilcourage gegeben hat, sogar im Gegenteil, nur dass diese Menschen meistens mit ihrem Leben dafür bezahlt haben; um so wichtiger scheint es heute den Anfängen zu wehren. Totalitäres Verhalten beginnt immer im Kleinen und breitet sich anschließend wie eine Seuche aus, weil dann plötzlich alle Angst bekommen ihre Stellung oder Position zu verlieren. Faschismus funktioniert nur im Schneeballsystem, deshalb sollte jeder in seiner Umgebung möglichst wachsam sein und Zivilcourage beweisen, denn ein altes Sprichwort besagt, dass man die Freiheit nicht einfach geschenkt bekommt, sondern, dass man auch bereit sein muss, sie zu notfalls verteidigen! – Ich bin mir sicher, aber ich glaube, dies steht so sogar in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, welche immerhin als die jüngste Demokratie weltweit gilt.