Paul Reichenbachs Montag, der 11. Februar 2008. Krankheit als Blackbox.

Margarita drückte den Besen vorn herunter,
so dass der Stiel aufwärts wies, verlangsamte
das Tempo und glitt der Erde zu wie auf einem
Luftschlitten. Dieses Abwärtsgleiten bereitete
ihr größten Genuss. Die Erde hob sich ihr entgegen…

(Aus: Bulgakow“Der Meister und Margarita „)

Lange Zeit bin ich nicht dabei gewesen. Es ist müßig zu schildern, welche Demütigungen ein Körper ertragen muss, haben einmal nanobiologische Lebewesen sich in ihm festgesetzt. Schon auf der Rückreise von Berlin im Zug, es war der 6. Januar des neuen Jahres, machten sich die Viren vehement bemerkbar. Als ich den Zug bestiegen hatte, war die Krankheit im Anzug, und als ich ihn verließ, war sie da. Eine Grippe zog in mir hoch, nahm all meine Empfindungen in Besitz und schien jeden Körperteil erobern zu wollen. Noch im Zug blieb mir die Sprache weg. Jedes Wort geriet zu einem flüsternden Krächzen, das von brennenden Schmerzen im Hals und an den Stimmbändern begleitet wurde. Es war sinnlos meine Verabredung mit R. , die mich am Bahnhof in Hanau abholen wollte, einzuhalten. Denn nichts fürchte ich mehr als meine eigene Schwäche jener zu offenbaren, die mich bisher nur stark kannte. Also schickte ich eine SMS: „ Kann nicht kommen, wünsche Dir einen guten Flug. Wir sehen uns Mitte Februar.“ Ich weiß heute nicht mehr, wie und auf welchem Wege ich nach Haus kam. Das Fieber wütete, an diesem Tag sollte es seinen Gipfelpunkt noch nicht erreichen, und zwang mich ins Bett, sprachlos und ebenfalls wütend. Nicht ich hatte mich mehr in der Gewalt, Gewalt hatte nun die Dame Influenza über mich. Sie heizte in den folgenden Tagen den Körper bis zu Spitzenwerten von 40, 3 Grad Celsius auf. Der Magen verweigerte die Nahrungsaufnahme, und schlug damit der Vernunft ein Schnippchen, die keinen Trick ausließ, um meinem Ego die Herrschaft über seinen Körper zu erhalten. Es war sinnlos. Als ich dann am Morgen des folgenden Tages im Büro anrief und in die Muschel ich kann nicht kommen flüsterte, war die Kapitulation vollzogen und ich sank in die Kissen, die Stirn und nicht nur die, schweißnass zurück. Es ist über 20 Jahre her, dass mir ähnliches widerfuhr. Und im Fiebertraum erinnerte ich ein Weihnachten 1984, als ich, auch damals im Fieber, den Verlust von Ihr betrauerte. Oder mir Ihn einbildete. Ich konnte damals wie heute nicht nur nicht sprechen, was äußerlich einer Stimmbandentzündung geschuldet war, sondern hatte auch jegliche Kontaktfähigkeit zu meiner Umwelt verloren. Und wie 1984 so geschah es auch im Januar 2008 und sollte sich bis zum gestrigen Tag wiederholen, begann ich, ohne Rücksicht auf meine Umgebung, nachdem die Fieberattacken, bei denen ich 8 Pfund Gewicht verloren hatte, in mir zur Ruhe gekommen waren, zu schreiben.
Träumte zu schreiben, trifft es besser. Denn wer ernsthaft glaubt, dass ein von Grippe geschwächter Leib ein starkes Hirn und lebendiges Gemüt hervorbringt irrt gründlich. Dass von Viren und sonstigen grässlichen Mikroorganismen entwertete Ego, braucht andre Formen sich zu stärken, als eine Tastatur und einen Monitor. Denn jedes Aufraffen zu sich oder anderen hin wird mit Hilf- und Wortlosigkeit bestraft. Die freudlosen Tage im Bett wurden noch freudloser, wenn ich das Bett verließ um mich an der Tastatur zu erproben. Was muss ich auch einen Roman schreiben wollen, den eh niemand zu lesen bekommt, dachte ich schon in jener Zeit als mich mein Körper zum ersten mal in meinem Leben darüber belehrte, dass er noch mehr Damen und Herren kennt, die ihn außer mir beherrschen. Und einher mit dieser demütigenden Niederlage entwickelte sich ein Hang Menschen jedweder Colour, ob Freunde oder Feinde, zu meiden. Die merkwürdige, verdammte, schlimme Eigenschaft, ein Sozialisationsergebnis totalitärer Strukturen, misstrauisch nach allen Seiten hin zu werden, feierte in den Wochen der Krankheit Triumphe. Und ein Roman, wenn auch nur als Phantasma, scheint dann einzige Rettung. Michael Bulgakows Meister spornte an, holte mich aus dem influenzen Loch und 198 Seiten „Litauische Krankheit“ konnten in den letzten Tagen in die Tasten gehämmert und nicht nur geträumt werden. Erst seit heute rufe ich wieder Mails ab.

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