in mein tagebuch gehören auch die sich entwickelnden wege meiner figuren. sie alle gehen inzwischen eigene wege. eine allerdings schert aus, sie will unabhängig von mir ihr eigenes leben.
zu beginn der letzten sieben jahre schickte ich sie auf einen schweren weg, sie musste den ihr von mir zugeschriebenen gesamten bis zu diesem zeitpunkt gelebten lebenslauf innerhalb dieser sieben jahre reflektieren. ich sah mir an, was sie tat, ich hörte mir an, was sie zu sagen hatte, hielt sie, wenn sie weinen musste, spürte was sie fühlte, ihre wut, ihren hass, ihre ohn:macht, und ihr alleinsein in diesen gefühlen. sie ging durch die schlimmsten momente, aber auch durch die glücklichen stunden, erlebte alle diese situationen noch einmal, saß nächtelang am schreibtisch, schrieb sich die finger wund, trank erst kaffee, dann rotwein, und während die zerknüllten papierberge wuchsen… wieder kaffee, wenn’s ganz schlimm kam, auch wiskey. es gab nächte, da ließ sie mich überhaupt nicht an den rechner. sie schrieb nur noch, diese besessenheit führte dazu, dass meine wohnung irgendwann wie ein schlachtfeld aussah, sie ließ alle gegenstände, die sie für irgendetwas benutzt hatte, einfach an ort und stelle liegen. und ich fing tatsächlich an, ihr alles hinterher zu räumen. sie sah mich nicht, sie hörte mich nicht, nahm mich nicht wahr.
was sich nach einem jahr zu ändern begann. sie nahm witterung auf, immer in meine richtung. anfangs war es nur eine schwingung, die bei ihr ankam… dann aber, mehr und mehr spürte sie mich, fragende blicke sprachen nicht aus, hielten beim schreiben inne, ihre ohren horchten, ihre augen versuchten ins dunkel zu erkennen. eines tages in der nacht entdeckte sie mich doch, sah mich in diesem sessel sitzen und sie beobachten. ich erinnere noch sehr diesen staunenden blick und ihre dann blitzartig ausbrechende wut: „ich weiß wer du bist. mit welchem recht hast du mich auf solche reise geschickt, was hast du dir bloß dabei gedacht, mich das alles erleben zu lassen. du hast mich dinge spüren lassen, von denen ich nicht wusste, dass ein mensch sie überhaupt ertragen kann. diese reise war von anfang an von jemandem geplant oder?… und wieso ausgerechnet mein ich, hättest du dir nicht jemand anderen ausdenken können?“ diese fragen waren die grundlage für einen über einen zeitraum von mehreren jahren geführten dialog. sie existierte mit mir und ich mit ihr auf einer anderen ebene, real in dieser realität, aber von existenzen auf anderen ebenen nicht wahrnehmbar. doch, es gibt zwei ganz wenige menschen, die unserer kommunikation zuhörten. später musste ich manchmal lachen, sie schaffte es doch tatsächlich, schneller auf dem motorrad zu sitzen als ich. sie klaute mir die maschine unterm hintern aus der garage weg, und ich stand da, hatte das nachsehen. sie schrieb alles auf, was sich in ihrem inneren abspielte, gedichte, texte… formulierte gedanken, die ich nur mit der empfindung von achtung und respekt lesen konnte, sie wuchs an diesem ihr zugeschriebenen lebenslauf, und sie entwickelte eine stärke, die ich nur bewundern konnte. die auseinandersetzungen mit ihr wurden immer heftiger, einer wuchs am anderen.
nach 4 jahren bemerkte ich eine zuerst leise veränderung in ihr, die mit den tagen und nächten lauter wurde, sie sprach zum ersten mal nicht darüber. sie fing an, nur dann zu schreiben, wenn ich nicht da war, und dieses geschriebene versteckte sie vor mir. später dann gab es zeiten, anfangs waren es stunden, dann tage, in denen sie einfach verschwand, sie führte ihr leben phasenweise fast zwei weitere jahre ohne mich, und ich ließ sie, aber ich wusste zum ersten mal nicht, was sie tat. sie gab mir keine möglichkeit einer wahl, ich hatte ihr ja ihre charakterlichen eigenschaften zugeschrieben und sie in diesen lebenslauf gezwungen, was mich jetzt dazu zwang, zusehen zu müssen. sie gönnte es mir mit ihrem quentchen von schadenfreude und bosheit einmal sehr deutlich: „bist du selbst schuld, du bist hier diejenige, die feige ist.“ irgendwann, es war eine unerträglich heiße sommernacht, wurde sie in einem schlimmen seelisch und auch körperlichen zustand von einer fremden frau nach hause gebracht. sie konnte vor dem spürbaren leid ihrer öffnung nicht aufrecht gehen, zu frisch wirkte die verletzung. sie ließ sich von mir nicht beruhigen, ich durfte sie auch nicht berühren, sie sprach nicht, sah mich nicht an. ich fühle aber, dass sie sich geöffnet hatte, sie war über ihre grenze gegangen, mit wem oder durch was auch immer, so sehr war die geöffnete wunde in ihr für mich spür- und sichtbar. die fremde frau nahm sie in den arm, sie ließ es zu, sie sprach mit ihr sehr ruhig und schaffte es tatsächlich, dass sie so erschöpft wie sie war, einschlief. später konnte sie das wie auf kommando, nach schweren körperlichen zuständen schlief sie sofort ein wie tot.
was war passiert?… wochenlang schwieg sie, ich schwieg mit. sie ging spät abends aus dem haus, diese fremde frau holte sie ab und kam erst am nächsten frühen morgen in begleitung dieser frau wieder zurück. sie wurde immer von einem großen dunklen wagen gebracht, natürlich stand ich oben am fenster hinter der gardine, weil ich wissen wollte. in diesem wagen saß hinten eindeutig ein mann, wenn beiden die tür vom chauffeur geöffnet wurde, konnte ich den stoff der dunklen hose erkennen und die schwarzen schuhe an den füßen. die fremde frau kam nur dieses eine mal mit nach oben, danach begleitete sie sie immer nur bis zu tür, ging dann zurück zu dem wagen, um wieder einzusteigen. die nächte vieler wochen vergingen so. in diesen wochen veränderte sie sich, einerseits wirkte sie weicher, ein solch inneres lächeln sah ich nie zuvor in ihr, andererseits wirkte sie härter, ihr blick wurde dann immer ganz kalt, die arroganz eines gesundenden selbstbewusstseins stand ihrem gesicht. die veränderungen kosteten sie kraft, sie schrieb sich weiterhin die finger wund, besorgte sich allerdings einen eigenen kleinen schrank, den sie abschloss, dessen schlüssel sie an einem lederband um das handgelenk trug. sie sprach immer noch nicht mit mir, und sie fing an, sich morgens und abends bei benutzung des bades in dieses einzuschließen.
eines morgens, ich war in eile… hatte vergessen mir ob’s in die handtasche zu stecken, griff ich wie selbstverständlich zur türklinke, obwohl sie im bad war. sie hatte vergessen abzuschließen, durch die gläserne duschwand konnte ich genau erkennen, was ich sah. am türrahmen hielt ich mich im ersten moment fest, der versuch des greifbaren findens einer formulierung stellte mich auf schwankenden boden. sie bemerkte mich nicht gleich, so konnte ich mir ihren rücken, ihren po und auch ihre beine ansehen. die blaublutigen striemen zogen sich über den ganzen rücken, wie fein säuberlich und ordentlich nebeneinander gesetzt bedeckten sie ihn, unten im lendenwirbelsäulenbereich und im übergang zu den pobacken änderten sie ihre geschlagene richtung, aber auch hier fein säuberlich nebeneinander gesetzt, teilweise so blutunterlaufen, dass ich spüren konnte, dass dort mehrere male getroffen wurde, diese geschlagene richtung setzte sich an ihren beinen fort. an ihren hand- und fußgelenken sah ich spuren einer fesselung.
einer jeglich eigenen bewegung unfähig stand ich immer noch, als sie sich plötzlich umdrehte. ich konnte ihren blick sofort deuten, und sie wusste, dass ich spürte, welch innerer zustand mir direkt in meine augen sah. eine siegerin, dem eigenen schmerz diesen abgerungen, so stolz dieser blick: „damit, dass ich diesen mut, den du nicht hast, haben werde, hast du nicht gerechnet, oder?. und ich antworte dir, bevor du fragst: ja, es sind orgasmen, die ich noch nie erlebt habe, die die mir von dir zu:gedachte form sprengen, die eine jegliche form sprengen, und wenn du nicht aufpasst, auch deine“ mit diesen worten drehte sie mir ganz langsam wieder ihren rücken zu, um sehr vorsichtig, fast mit zärtlichkeit den jetzt in der stärke verringerten wasserstrahl über den wunden rücken laufen zu lassen.
danach konnte ich nicht mehr ins büro fahren. als sie aus dem bad kam, saß ich mit einer tasse milchkaffee am tisch. sie lächelte. „du fragst dich allen ernstes, warum du zwei jahre lang nicht wusstest, was in mir vorging?, du hast mich doch erfunden, du müsstest mir eigentlich sagen, was ich zu tun, zu lassen und vor allen dingen zu denken und zu fühlen habe.“ „ das konnte ich ab einem bestimmten zeitpunkt nicht mehr.“ „ja, weil du voller angst bist, weil du dich dir selbst verweigert hast, dass machst du übrigens immer noch hervorragend, willst du dir jetzt endlich mal zuhören, wenn ich dir was zu sagen habe?“. „du mir was sagen?… du existierst nicht.“ „achja?… mit wem redest du denn gerade, und was war das da eben unter der dusche? soll ich dir meinen rücken nochmal zeigen?“