6.46 Uhr:
[Am Terrarium.]
Wenn man Pizzicato spielt, also die Saiten zupft, kann man auch jenseits ziviler Zeiten üben; es kommt ja doch vor allem aufs Training der linken Hand an, eine gute Intonation läßt sich dann später üben; man hört sie übrigens aber auch so, ob sie da ist, also, oder ob nicht. Wobei ich immer wieder über die Schnelligkeit des Gehirns staune: wie schnell es neue Synapsen aufbaut, so daß Stückchen, die einem noch vor drei Tagen schwer vorkamen, nahezu automatisch zu laufen beginnen, man muß gar nicht mehr hinschauen auf die Hand. (Allein die Steckung bereitet noch ein wenig Probleme; ich merke, daß mein Wille sich hier ganz deutlich vor die physische Fähigkeit schiebt und sie zwingt; entsprechend muß ich mich davor hüten, die Sehnen zu überfordern; sie müssen erst lernen, daß sie, und in welcher Weise, gefordert sind).
Bin erst um 5.30 Uhr aufgestanden, weil ich heute früh hierbleiben will, um mit anzuschauen, wie unser Junge die Ostereier sucht, die wir gestern nacht noch, und ich heute in der Frühe, hier im Wohnzimmer versteckt haben. Ich saß gestern noch lange am Cello, gelesen hab ich g a r nicht; saß dann noch dran, die spätnachmittags gefärbten Eier in den Osterstrauch zu hängen, und dachte an die >>>> ANNO-1900-Anthologie, dachte um einen Einfall. Ein paar Zeilen hatte ich gestern noch in der Arbeitswohnung notiert, die offenbar die Richtung gewiesen haben. Denn heute früh, während die linke Hand ihre Finger über die D- und A-Saite laufen ließ, kam er mir, der gute und richtige Einfall. Es geht hier ja darum, die in der Anthologie versammelten, ausgesprochen unterschiedlichen Texte vermittels einer Rahmenhandlung miteinander zu verbinden; auch das ist eine Handwerksfrage. Nur kann man das Handwerk nicht loslassen, wenn kein Material da ist, und das mußte ich mir erst besorgen. Nun ist es da, nun werde ich schreiben können. Wahrscheinlich geht es jetzt „nur“ noch um Kittstellen je zu den einzelnen Texen – was auch bedeutet, daß ich diejenigen, die ich als mißlungen empfinde, auf irgend eine Weise aufwerten muß. Man darf bei sowas nicht stolz sein, sondern muß das als eine Etude begreifen, an der man die eigene Geschicklichkeit feilt.
Nachmittags wohl werd ich dann für zweidrei Stunden in die Arbeitswohnung radeln. Als ich vorhin meine erste Morgenzigarette auf der Schönhauser rauchte, lag eine dünne Schicht Schnees auf den Karosserien. Bei der zweiten bereits war er geschmolzen. Es ist ein häßliches Wetter, keine Idee von durchbrechender Sonne und Spaziergängen, die schwarze Pudel durchpunkten…
Ostereier Die Aktivierung der Feinmotorik der Hände schlägt direkt aufs Gehirn durch, besonders die Aktivitäten der linken Hand. Klar, sprudeln dann die Einfälle. Diese physiologischen Ereignisse verstärken sich von selbst, wenn man sie bewusst verfolgt.
In diesem Sinn schöne Ostern noch und viele neue Einfälle beim Pizzicato!