Lasse stehen die Zeit! Sonne, vollende du!
Mache das Ende groß! Künde die Ewigkeit!
Recke dich drohend auf, Donner dröhne dein Licht,
daß unser schallender Tod verstummt!
Aus: Karl Kraus, Gebet an die Sonne von Gibeon
Zu untersuchen sei der Wortstamm sol bei soleil, Solidarität, Solitär usw. sagte Bruno gestern Abend am Telefon. Und auch, dass der Text wie eine Litanei zu sprechen wäre, was mir sofort einleuchtete, nachdem ich mich erneut an den wuchtigen „Sonnentext“ der Araberin gemacht hatte, den eine Freundin aus dem Französischen übersetzt hat, und der mir sozusagen zur poetischen Überarbeitung von ihr angetragen worden war. Heute Nachmittag treffen sich Übersetzerin, montgelas und ich zu einer Marathonsitzung in Sachen Poesie. Sehr dicht, sehr intensiv, sehr evozierend in der knappen Sprache, in der die Syntax durch die raschen Bildblitze sich herstellt, meint Bruno, ist der Text. Da hat er Recht. Wie er überhaupt oft Recht hat, wenn man ihn in poetologischen Fragestellungen zu Rate zu zieht, konsultiert. Nun ja, heute Nachmittag, es wird bis spät in die Nacht dauern, beginnt die Arbeit, deren Ende ursprünglich am 14. April sein sollte, da besucht die Dichterin Frankfurt. Es war 3.00 Uhr, als ich den PC runterfuhr und ins Bett ging. Die Verse ließen mich schlecht einschlafen und ihre Evokationen verfolgten mich im Traum: Tammuz ist der in einem Eisbad auf eine Sonnenuhr genagelte Juli. Die Hinrichtung der Götter, dachte ich bei dieser Zeile, ist ein Problem unserer Zeit. Anmaßend und hochfahrend, wie in den frühen Jahren der franz. Aufklärung, mehr La Mettrie als Voltaire, mehr Mechanik als Dialektik, so kommen mir mitunter manche Diskussionen vor, die jede Demut, gleich ob sie eine Schöpferin oder Schöpfer oder den Zufall annehmen, vermissen lässt. Demut vor den Ursprüngen und vor den zu untersuchenden wissenschaftlichen Problemen ist eine notwendige Vorraussetzung, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Nietzsches “ Gott ist tot.“ habe ich immer als Klage, niemals als Revolte gelesen. Schon beruflich mehr der Ordnung als dem Chaos verpflichtet, was im Denken auch angenehme Spuren hinterlassen kann, sind mir Hierarchien näher als jeder romantische Traum von deren Auflösung.
Bild: Ernst Fuchs, Die Sonne des Universums. Bildquelle >>>> D o r t