Manolis Glezos, Kohlen und Donald Duck. 22.04.2008. Paul Reichenbach erinnert sich.

Ich muss so ungefähr 8 Jahre, also im 2. Schuljahr gewesen sein als eine Tante, eine Westtante, bei uns zu Besuch war. Das blaue Halstuch der Jungpioniere trug ich damals mit Stolz. Du siehst ja aus wie ein Pimpf, sagte meine Tante Gudrun, die es von Braunschweig per Interzonenzug in unsere kleine Stadt meistens nur für 1 Woche wehte, als ich vor dem Spiegel über den Waschbecken in der Küche meiner Großmutter stand, an ein Badezimmer wagte in jenen Tagen noch niemand zu denken, um mir das blaue Halstuch zu binden und meinen Scheitel zu ziehen. Der Knoten des Tuches musste ebenso gerade sitzen, wie der Scheitel. Das war Ehrensache. Mit dem Wort Pimpf konnte ich nichts anfangen, dachte mir aber, dass es nicht Gutes bedeutet. Aus dem Westen, das hatte ich gelernt, kam nur Falsches. Ich bin Pionier, kein Pimpf, murmelte ich vor mich hin, während ich meinen Ranzen schulterte und mich auf den Weg zur Schule machte. Wir sammelten damals, um die DDR-Handelsflotte siegreich gegen den Westen zu stärken, Schrott und Altpapier für den Bau eines Trawlers, der den Namen „Ernst Thälmann“ tragen sollte. Helden spukten in unsren Kindsköpfen, wie >>>Manolis Glezos, der unter Einsatz seines Lebens die Akropolis von der Hakenkreuzflagge befreit hatte und nun wegen seiner Mitgliedschaft in der KP Griechenlands auf irgendeiner griechischen Gefängnisinsel einsaß. Ich verehrte Ho Chi Minh, ja lange bevor die Langhaarigen im Westen ihn für sich entdecken sollten, als Führer des vietnamesischen Befreiungskampfes. Da wäre man als 8-jähriger gern dabei gewesen. Und gelesen habe ich viel. Eines meiner Lieblingsbücher war >>>>Arkadij Gaidars Buch „ Timur und sein Trupp“ .Junge sowjetische Pioniere halfen alten Menschen Kohlen schleppen. Mir war das Buch ein Trost, denn dreimal die Woche schleppte ich, an jeder Hand einen Eimer, Kohlen in die Wohnung meiner Großmutter. Über 52 Stufen mussten bewältigt werden. Ein zäher Wille, gestützt von meinem Pionierehrenwort, half dem schwächlichen Körper unzählige Briketts in die Wohnung zu hieven. Meine Westtante, die mich während ihres Besuches öfter die Treppen hinauf keuchen sah, lobte mich, strich mir übers immer gut gescheitelte Haar und meinte eines Tages: Wer so fleißig seine Oma unterstützt, der hat auch Belohnung verdient;dabei öffnete sie ihren Koffer gab mir 10 Micky Maus Hefte in die Hand. Du liest doch gern.. „Bedanke Dich wenigstens“, brummte meine Oma in ihren Frauenbart, als ich schon längst zwischen Küchenherd und Schrank auf meinem Leseplatz saß, um für Stunden der Welt der Kohlen und Halstücher verloren zu gehen.

Am 22.April 2005, vor 3 Jahren, starb die Übersetzerin der Donald Duck Comics >>>>Erika Fuchs.

Bild: Gedenkplakette der D.O.N.A.L.D. am ehemaligen Wohnhaus von Erika Fuchs in Schwarzenbach

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