etwas sehr eigenes ist mir heute morgen passiert. um 05.00 uhr musste ich aufstehen, der reifenwechsel von winter- auf sommerreifen war fällig, diese waren aber noch beim autohaus in meiner heimatstadt eingelagert. so viel hatte ich mir für heute vorgenommen, wollte diesen tag mit meinen geschwistern verbringen, dass heißt, mit meiner schwester frühstücken, meinen bruder am nachmittag besuchen und gegen abend mit meiner tochter etwas essen, zwischendurch noch verschiedene dinge einkaufen, und den wagen waschen. ich benötige eine waschanlage, die nicht mit bürsten wäscht, solch eine habe ich hier noch nicht gefunden.
so fuhr ich also los, tanken war angesagt, weil ich das aus gründen der faulheit am abend vorher nicht tat, ich hatte absolut keine lust, noch einmal das haus zu verlassen. eigentlich ging es mir gestern abend schon nicht so gut, ich schlief auch ganz schlecht, nur 4 stunden, mein gefühl zu hinterfragen verhinderte der verdrängungsmechanismus. die keule kam dann unterwegs, es passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. ich wäre am liebsten wieder umgedreht, ich wollte nicht in diese stadt fahren. ein ganzes stück fuhr ich früher von der autobahn, um mich abzulenken… aber je näher das dorf kam, in dem ich so viele jahre lebte, desto schlechter ging es mir. die zeit des wartens während des reifenwechsels war eine einzige innere zerreiß- und geduldsprobe, ich musste etwas länger warten, die mitarbeiter des autohauses hatten mich jetzt vor himmelfahrt dazwischengeschoben, weil ich eben nur diese drei tage in der nächsten zeit frei habe, und bis nächste woche auch nicht warten wollte.
als ich vom autohaus losfuhr, wollte ich spontan gleich wieder auf die autobahn, hatte aber meiner schwester versprochen, im kindergarten vorbeizuschauen, um mit ihr und den kindern in der gruppe gemeinsam zu frühstücken. die kleineren kinder in der gruppe konnten sich einfach nicht vorstellen, dass meine schwester sowieso geschwister und eben auch eine schwester hat. ich wiederum konnte nicht begreifen, dass kinder sich so etwas nicht vorstellen können. für die kinder in dieser gruppe ist meine schwester die erzieherin, nichts anderes, sie hat keine andere funktion. „du bist doch aber immer hier, wenn wir kommen bist du hier, wenn wir gehen auch, du kannst doch garkeine geschwister haben.“ die kinder äußerten tatsächlich die gedanken, dass sie keinen vater und auch keine mutter hat, und auch noch nie ein baby war… so hatten sie’s beschlossen. „wie… du hast eine schwester, und die hat dich nie an den haaren gezogen?“ „meine schwester hat mich nie an den haaren gezogen, meine schwester hat mich immer beschützt.“ „du warst auch ein baby?“ … und als meine schwester das bejahte und auch noch bestätigte, dass auch sie in die windeln kackte, da wollten die kinder das nicht glauben. tatsächlich verstummten sie, als meine schwester mich vorstellte: „du siehst ja garnicht aus wie eine oma“… „oma?“ „ja, magini hat gesagt, dass du älter bist, dann musst du doch eine oma sein.“ eine kurze zeit hielt ich das tatsächlich aus, spürte aber, dass meine schwester mich beobachtete, es dauerte auch nicht lang: „dir geht es nicht gut, setz dich ins auto und fahr wieder.“ „… ich will hier wieder weg.“ sie nahm mich in den arm: „mir ging es viele jahre genauso, wenn ich von der küste hierher musste, um die schwiegereltern immer wieder zu besuchen. kannst du dir jetzt vorstellen, wie schlecht es mir ging, als ich wieder in diesen ort zurück musste, weil ich niemanden hatte, als mein mann seine praxis, unser haus und seine geliebte unter den arm klemmte und nach freiburg stiften ging?, und sich auch nicht mehr um die kinder kümmerte?, ich sag dir eins, meine tochter ist auf ihrem weg, und wenn mein sohn es geschafft hat, bin ich hier wieder weg, in meinem job kann ich überall arbeiten, ich will wieder an die küste, ich will wieder ans wasser.“ ich stand unfähig mich zu rühren einfach so da und blieb einen augenblick auch so stehen, dann sah ich sie an: „kannst du mir sagen, wo heimat ist?… hier ist doch nicht unsere heimat, hier kann sie nicht sein, weil sich heimat niemals im leben so anfühlt.“ das tat uns beiden weh: „setz dich ins auto, nach dem fünfzigsten kilometer geht es dir wieder besser, wir reden heute abend, und wir haben das ganze wochenende zeit.“ „ich muss dir da noch etwas sagen.“ „ich weiß, du weißt nicht, ob du mich das ganze wochenende ertragen kannst.“ erleichtert schaute ich sie an, sie nahm mich in ihre arme: „ich hab dich lieb, weißt du?… wenn es nicht geht, fahre ich wieder.“
ich habe wirklich nicht mit einer solchen reaktion meiner gefühle gerechnet. die straßen wurden immer kleiner, die orte immer unwirklicher, im auto bekam ich in abständen immer wieder so eine art anfall, ein schmerzendes gefühl, welches in intervallen von unten nach oben immer wieder durch meinen körper kroch. früher stellte ich den anspruch an mich, es aushalten zu wollen, ich wollte nie weglaufen, mich immer auseinandersetzen. vielleicht war genau das falsch die ganzen jahre, vielleicht hätte ich viel eher aus dieser stadt wegziehen sollen. mein zwillingsbruder tat das, von ihm sehen und hören wir seit jahren nichts mehr.
hier wieder angekommen, ging ich eben noch rüber in den pennymarkt. ich hielt es keine fünf minuten aus, die ganze zeit hämmerte diese stimme durch den laden: „vater hat tochter 24 jahre lang in einen keller gesperrt, mißbraucht und sieben kinder gezeugt. die mutter will die ganzen jahre nichts bemerkt haben“.
mir geht es nicht sehr gut… es dauerte jahre, bis meine eigenen wurzeln in meinem eigenen grund wuchsen, die pflege meiner pflanze ist und bleibt knochenarbeit, der ich mich stellen muss, niemals darf ich nachlässig sein. ich habe es gelernt, neben dem täglichen leben phasenweise zulassen zu können, deshalb nehme ich mir zwei tage eine auszeit. ich muss es mir aus dem körper kämpfen, essen kann ich dann nichts.