9.5.08 19:33 – Fr – 20°C – gefilterte Sonne

Telefoniert hatte ich mit ihr: vorgestern. Es ging mir wieder ans Eingemachte: ich hätte SIE verletzt, als sie Anfang März hier auftauchte und unversehens nach 10 Minuten oder so wieder ging. Aus meinem ganzen Benehmen hätte sie gesehen, daß ich sie nicht sehen wolle. Ich bin nicht dazu gekommen, ihr zu sagen, daß mir ihr Besuch deshalb ungelegen kam, weil die Wohnung unaufgeräumt war, weil die Sitzgelegenheiten mit Klamotten bedeckt waren, weil das Wohnzimmer noch uneingerichtet war, weil der Fußboden in der Küche Flecken aufwies, weil, weil, weil. Da hat jemand irgendwann aufgehört, mich kennen zu wollen. Und setzt es fort. Am Ende streitet die Wahrheit mit der Meinung, und die Wahrheit selbst wird zur Notlüge und die Meinung zur Wahrheit. Und der Finger beendet abrupt das Gespräch. Mein Finger. Hab’ ich immer noch nicht verdaut. Zu sagen, es sei egal, kann ich nicht. Sogar der Gedanke kam mir, daß, wenn Gleichgültigkeit so abwesend ist, da etwas doch noch ist, was aber sehr wehe tut. Nur die Abwesenheit heilt. Und fast hat es zu tun mit einem Traumstück der vorletzten Nacht: es bildeten sich helle Punkte am schwarzen Himmel zu Sternbildern, sobald sie aber fertig waren, fielen herab vom Himmel. Ich rief jemanden (eine Frau) herbei, sich das mit anzuschauen: es geschah genau dasselbe. Erst nach dem Traum erinnerte ich mich, daß es eine Neujahrsnacht gewesen war, in der ich da noch vieles mehr erlebte. Der Wunsch also, der zerstiebt, sobald er in Erfüllung tritt. Darf man sich nicht etwas wünschen, wenn man eine Sternschnuppe herabfallen sieht? – Gestern in Rom, um Schwarzgeld einzukassieren: „Ich habe dich für morgen erwartet.“ – „Aber ich schrieb doch gestern: ‚Ich komme morgen.’“ – Kurz, er hatte sich vom Betreff beirren lassen, in dem ein Freitag steht, weil ich zunächst vorhatte, am letzten Freitag zu fahren, an dem er allerdings verhindert war. Also gab’s weniger, als ich wollte. Nächste Woche ist aber eine weitere Romreise vorgesehen.
Sie haßten einander mit Worten und Gedanken; er schlug sie, verbrannte ihr Bild, verleumdete sie öffentlich; sie rächte sich so gründlich sie konnte, schlug zurück, verleumdete wieder, ließ ihn frieren und hungern, nahm ihm das Kind.
Aber die Affinität, das Verlangen nach Vereinigung, überlebte die Feindschaft; gegen ihren Willen wurden sie zueinander gezogen; es war, als trügen sie zwei selbständige Wesen unter der Haut, und diese Wesen liebten sich auf eigene Faust, trotz des Hasses der beiden Feinde. Diese geheimnisvollen Wesen teilten eine Art Liebe den Antagonisten mit, die sich wirklich im Eros begegneten und für einige Augenblicke einander das Glück schenkten.
Darum ist wohl die Liebe unabhängig von Vernunft, Antipathie, und kann sogar die Scheidung überleben.
Die Theosophen sagen, im Gedanken an die Reinkarnation, daß die Kinder ihre Eltern wählen.
Darum wählt „man“ in der Liebeswahl nicht, sondern wird gewählt, ohne Widerstand leisten zu können; und darum auch existiert die Liebe selbständig mitten im Haß und parallel mit der Antipathie.
Es geht über unsern Verstand und unsern Willen!

Aus Strindbergs „Blaubuch“, zitiert nach „Die Republik“, Nummer 61-67, Februar 1983

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