…. fuhr ich doch nicht mehr. ich saß wie paralysiert an meinem schreibtisch, sah mein bett und entschloß mich dann, in diesem auch zu schlafen. ich rief meine schwester an, es war ein langes gespräch, sagte ihr, daß ich heute am vormittag kommen würde. mein kind ist stark. die ärzte unterbrachen die op, weil sie etwas entscheiden, sie aber vorher fragen mußten. der tumor ist mit 1 a klassifiziert, weil er örtlich begrenzt, aber trotzdem, nicht der klassifizierung entsprechend bis maximal 3 millimeter ins gewebe gewachsen war, sondern schon 5 millimeter. bei dieser wachstumsausbreitung besteht bei einem erhöhten risiko trotzdem die möglichkeit, die gebärmutter zu erhalten. meine tochter geht dieses riskio ein. sie entschied knallhart, die gebärmutter nicht entfernen zu lassen. der arzt riet aufgrund ihres allgemeinen körperlichen zustandes und der langen dauer der vorgeschichte, zur entfernung der gebärmutter. sie sagte „nein.“ es wurde ein teil des gebärmutterhalses entfernt, und eine kürettage durchgeführt. sie entband den arzt von beginn an mir gegenüber von seiner schweigepflicht, deswegen waren die ausführlichen gespräche auch möglich. eine darmspiegelung wurde schon gestern gemacht, auch die blase, die nieren und die leber wurden untersucht. die lunge wurde geröntgt. die lymphknoten sind frei, ein ganzkörper mrt auch vom skelett, welches ich zusätzlich durchsetzte, wurde auch gemacht. der tumor hat die basalmembran noch nicht durchbrochen. das mrt mußte ich bei den ärzten wirklich durchsetzen, sie ist aber privat zusatzversichert, diese versicherung bezahlt das mrt unter berücksichtigung ihres jungen alters, aber auch alle leistungen, die die gesetzliche krankenversicherung nicht übernimmt. das mußten wir aber vorher abklären. ich finde es unglaublich, wie schnell bei privatzusatzversicherten patienten auf wunsch gehandelt wird. diese zusatzversicherung zahle ich für meine tochter seit jahren selbst. ich selber bin freiwillig pflichtversichert, mein risikozuschlag bei einer privaten wäre so immens hoch gewesen, daß ich diesen nicht hätte auch noch bezahlen können.
und sie ist wirklich so unglaublich stark. nachdem wir beide davon wußten, saß ich an ihrem bett, und schwieg erst einmal. das was sie sagte, traf den nagel auf den kopf: „den glauben an das leben hast du mir vermittelt mama. und du glaubst doch wohl nicht, daß ich zulasse, daß du dein zweites kind auch noch beerdigen mußt. ich will leben, und ich will auch noch kinder. ich will, daß du enkelkinder hast.“ da war es dann mit meiner beherrschung vorbei, mein kind nahm mich in den arm: „eigentlich bin ich hier diejenige, die heulen müßte. ich bin krank, nicht du.“ aber dann weinte auch sie. nach einer weile schaute sie mich an: „hast’e mal’ne zigarette?“ „du darfst nicht rauchen.“ „ist mir scheißegal… ich brauch’nen nikotinflash.“ sprach’s… klemmte sich den tropf und die flaschen unter den arm, nahm die zigarette und das feuerzeug, und ging zur toilette. ich stand wache an der zimmertür. das badezimmer grenzt mit unmittelbarem zugang an ihr zimmer. sie hat ihr eigenes bad. überhaupt war sie nach der op gleich dazu in der lage, ohne probleme aufstehen und einmal um das bett wandern zu können. das erste notwendige nach einer operation um das bett wandern sollen kenne ich auch. der kreislauf muß wieder auf trab gebracht werden. bei jedem patienten, der operiert wurde und aufstehen darf, wird das von den schwestern eingefordert. mit einem speziellen griff wurde sie aufgerichtet, mußte nach oben gucken, tief durchatmen, aufstehen und ein paar schritte gehen, erst links um das bett, dann rechts herum. sie drehte mehrere runden, die schwester war sehr zufrieden.
jetzt spüre ich ganz genau, wie wichtig eine solche zusatzversicherung ist, und das es richtig war, sie die ganzen jahre zu bezahlen. sie wird jetzt zwar einen risikozuschlag bekommen, aber den werde ich auch zahlen.
über die weitere therapie wird nächste woche entschieden. es ist noch nicht raus, ob aufgrund des ergebnisses und ihrer eigenen entscheidung auf eine präventive chemotherapie verzichtet werden soll.
am nachmittag dann löste mich meine schwester ab. „du kannst ruhig fahren, und deine sachen holen, magini (meine schwester) kommt ja gleich.“ sie ist auch froh, daß ihre beiden katzen, gierasimiuk und agonie bei meinem bruder untergebracht sind. es war sehr schwierig, agonie in die transportbox zu kriegen, meine unterarme sind völlig zerkratzt. mein bruder zog sich dann handschuhe an, er mußte sie unter größtem widerstand unter dem bett meiner tochter hervorholen. beide sind erst einmal in einem großen hellen raum im keller untergebracht. auch futter und wasser und das katzenklo stehen dort. ließe man sie gleich in der fremden umgebung frei laufen, versteckten sie sich als erstes. alle katzen machen das, wenn sie in eine fremde umgebung kommen. sie müssen sich eingewöhnen. gierasimiuk war schon immer sehr scheu, er geht nur schwer auf menschen zu. wenn er das dann aber tut, ist er sehr verschmust und anhänglich. zu mir war er von beginn an sehr zutraulich. ich werde mich heute abend, wenn ich bei meinem bruder bin, für eine weile zu den katzen in den raum setzen. vielleicht gesellt sich meine schwester dazu, dann trinken wir unseren wein auf dem boden hockend eben in katzengesellschaft. es reicht, wenn jemand anwesend ist, den sie kennen.
auf das gemeinsame frühstück mit meiner tochter und meiner schwester freue ich mich. meine schwester hat mein kind erst einmal ausgefragt. wir werden ihr morgen alles servieren, was sie gerne ißt, zum nachtisch wird es mit aprikosen gefüllte quarkknödel und mit schokolade überzogene marshmallos geben. die quarkknödel hab ich noch in der nacht zubereitet. war eine fast meditative tätigkeit, hat mich beruhigt. mein bruder stand die halbe nacht in der küche, auch den grill hat er schon aufgebaut. es wird feinsten fisch in allen variationen geben.
insgesamt stelle ich fest, daß wir alle diesen pragmatismus leben. auch meine tochter handelt so… in wirklich allen situationen immer mit der einfachsten lösung das bestmögliche ergebnis herbeiführen. der kopf ist immer klar… und entscheidet, trotz der gefühlsintensiven situation im hintergrund.
die sachen sind alle eingepackt, ich setze mich jetzt ins auto, hoffe, daß der elbtunnel nicht dicht ist.