…. tat ich nur noch zweierlei. ich brauchte frische luft, die lungen sauerstoff. auf einem kleinen kissen auf dem balkon eine einstündige atemmeditation mit geradem rücken und im schneidersitz. die augen geschlossen spürte ich plötzlich, wie sich etwas auf mein rechtes knie setzte. ein kleines tagpfauenauge leistete mir leise, ohne sich zu rühren fast 20 minuten gesellschaft. ich hielt ganz still. überhaupt passiert mir das öfter. wenn ich mich draußen bin, taucht irgendwann ein schmetterling auf, und bleibt dann auch. es war, als hörte er meinen gedanken zu, wie ein einvernehmen, ganz zart. diese begegnung brachte licht in mein dunkel, was im moment wirklich ganz dunkel ist. um 18.30 uhr legte ich mich ins bett und schlief tief und fest bis heute früh um 05.30 uhr durch. der körper holte sich das, was er brauchte.
im büro werde ich niemandem etwas sagen. so etwas kommt nicht gut. das umfeld trägt dann immer gleich den argwohn, daß man im job nicht mehr so funktioniert, wie es nötig ist. heute nachmittag ist mein chef nicht da, ich werde stunden vom gleitzeitkonto nehmen und zu meiner tochter fahren, spät am abend dann wieder zurück. hab noch überlegt, mit dem zug zu fahren, aber die bahnfahrt hin und zurück, auch über firmentarif gebucht, wäre einiges teurer als der preis für eine tankfüllung. meinem eumelchen tun die fahrten auf der autobahn ganz gut, weil es hier eben immer nur kurzstrecken fährt.
mein bruder kommt am nächsten wochenende. er hat hier in hamburg den auftrag erhalten, ein badezimmer zu erneuern. „mosaikarbeiten, ich darf selbst entwerfen“ sagte er. so etwas ist balsam für seine geschundene arbeitsseele. es sind so häufig normaufträge, die er bekommt. „dat ist doch allet scheiße, dat’sin naßzellen, aber keene badezimmer“ grummelt er dann. aber er macht’s, weil er die aufträge braucht. allerdings hat er jetzt einen sehr großen auftrag einer wohnungsbaugesellschaft abgelehnt. „da hätt ich draufgezahlt, dazu erkläre ich mich nicht bereit. es gibt genug kollegen, die ihre hosen so weit runterlassen. sollen die das machen. ich nicht.“ wenn er am tage körperlich gearbeitet hat, sitzt er bis spät in die nacht und schreibt angebote, macht das entsprechende aufmaß, rechnet hin und her. am nächsten morgen bringt er selbst seine post zum briefkasten. von seiner frau bekommt er keinerlei unterstützung. ist schon seltsam zwischen den beiden, sie haben überhaupt nichts gemeinsam. sie verbringen keine zeit miteinander, es finden auch keine „innengespräche“ zwischen beiden statt. sie fragt nie: „wie war dein tag heute?“… es interessiert sie nicht. darüber ist mein bruder ganz unglücklich. so jung die beiden sind, feiern sie dieses jahr silberhochzeit. seit vielen, vielen jahren weiß er, daß er sich am liebsten trennen möchte. „die kinder“…. sagt er dann immer. „du weißt, daß uns das gefühl von „familie“ nie gelehrt wurde, ich will meinen kindern dieses gefühl erhalten.“ „ja… aber auf wessen kosten, und glaub nicht, daß es für deine kinder schön ist, wenn sie irgendwann erfahren, daß die eltern sich garnicht mehr liebten, und nur ihretwegen zusammenblieben. für die kinder wäre es in solchen situationen besser, die eltern ließen sich eine lösung einfallen. eure elternrolle könnt ihr trotzdem erfüllen. außerdem sind eure kinder doch schon groß. die beiden werden in absehbarer zeit eigene wege gehen.“ da schüttelt er ganz vehement den kopf..“nein.“ mein schwester steht ihm im augenblick zur seite. sie ist ja auch ergotherapeutin. die tochter meines bruders beginnt, sich in der schule verweigern zu wollen, sie ist völlig zerstreut, will nicht mehr lernen. mein bruder hat aber, weil er eben den ganzen tag nicht da ist, keine zeit, sich darum zu kümmern, und seine frau tut nichts, sie registriert bloß. meine schwester sieht das und handelt jetzt. sie mußte jahrelang mit ihrem sohn arbeiten, der ja hochbegabt aber ein adhs’ler ist. sie hat es geschafft, er weiß jetzt genau, wie er lernen muß, damit er den stoff auch behält. „ergotherapie bringt die kinder in ihre mitte, sie hilft ihnen, sich zentrieren zu lernen. diese kinder brauchen eine vorgegebene struktur, nach der sie sich richten können. das kann man auf eine sehr liebevolle art und weise vermitteln.“ meine schwester brauchte allerdings jetzt fast ein halbes jahr, bis sie die frau meines bruders… in zusammenarbeit mit ihm, dazu bewegen konnte, mit der tochter zu einem arzt zu gehen. „die ist doch gesund, und wenn sie nicht lernen will, hat sie selbst schuld, dann arbeitet sie halt irgendwann als verkäuferin“ sagte sie, die frau meines bruders. meine schwester bekam fast einen anfall, aber sie blieb ruhig. mit geduld und spucke, aber auch mit nachdruck agierte sie. ein rezept für eine therapie ist jetzt da, einen hauptsächlich mit jugendlichen arbeitetenden ergotherapeuten kann meine schwester vermitteln.
meinem kind geht es den umständen entsprechend gut. sie ist gut drauf, liest bücher. die ärzte lachen immer über den hohen stapel auf ihrem nachtschränkchen. alle freunde, die sie besuchen, bringen ein buch mit. über die anwendung einer chemotherapie wird heute entschieden, es stehen noch zwei untersuchungsergebnisse aus.