Seit Wochen hat Paul jeden Kontakt mit der Mitwelt und dem Dasein unterbrochen, sehen wir von kleinen, kurzen Plaudereien über Gott und die Welt ab, die ihm sein Tankwart regelmäßig beim Bezahlen aufnötigt. Nun ist kommunikative Kürze keine Würze, sondern eher ein Kind der Ohnmacht oder des Hochmutes oder wie im Fall von Paul eine Art Schutzschild hinter der sich seine Aphasie verbirgt. Die Fähigkeit lang und ausgiebig Gedanken in Worte zu gießen, ist ihm den letzten 20 Tagen abhanden, abmunden gekommen, obwohl, wie jeder Mensch weiß, die Werbung macht es uns im Fernsehen, Rundfunk, und im Kino ja vor, erst durch wiederholte Anrufung eine Botschaft über die Schwelle seiner Wahrnehmung gelangen kann. Geschwätzigkeit akkreditiert, und nur plattgetretene, ausgewalzte Sachverhalte gelten als wahr, dachte er gestern am späten Abend, als ihm einkam, dass er heute einen wichtigen beruflichen Gesprächstermin habe, zu dem er sich die Wortreste in seinem Hirn wird zusammenklauben müssen. Wahrheit und Wirklichkeit, das weiß er seit langem, werden bei fast jedem Gespräch auf der Strecke bleiben; werden doch alle Fakten von Fiktionen untergraben, die sich mit Masken von Tatsachen schmücken. Die heutzutage vorstrukturierte Möglichkeit ist zum zentralen Mittel der Kontrolle aller gesellschaftlichen Kommunikation geworden, denken wir nur einmal an die Berichterstattung über die gegenwärtige Lage im Kaukasus. Die verloren gegangene Gesprächsfreiheit ist es, die Paul zu schaffen macht. Eine effiziente Eingliederung des einzelnen in ein kommunikatives System von vorstrukturierten Frage – u. Antwortoptionen, die permanente Wahlmöglichkeit simulieren, um ein Gespräch am Laufen zu halten, erschreckt ihn. Kommunikation erscheint ihm deshalb als besondere perfide Form von Unterwerfung und daher als pure Zeitverschwendung.
Wenn ich Dich jetzt
ernst nähme, was mir offen gesagt schwer fällt, lieber Paul, willst Du heute kein Bier mit mir trinken gehen. Kommunikation lebt von Fiktionen und ich kann nirgendwo feststellen, dass kommunikativer Möglichkeitssinn zentraler Verwaltung unterstellt wäre.
Schein winkt…. Die Situationen, in denen man nicht ‚frei‘ sprechen kann, häufen sich und determinieren das Sprachverhalten. Wo findet denn Kommunikation hauptsächlich statt oder besser gefragt: In welcher Rolle kommuniziert man in der Regel? Wohl in der des ‚Arbeitnehmers‘ und in der ‚Freizeit‘ dann in der des ‚Kunden‘. Vermischungen beider Ebenen sind gang und gäbe. Daraus folgt eine schwer erträgliche Schablonierung der sprachlichen Möglichkeiten, der es zu entrinnen gilt…Dabei denke ich daran, dass sich ein ernstes Bier durchaus auch auf einer nonverbalen Ebene gut zwitschern ließe 🙂