5.23 Uhr:
[Arbeitswohnung. Henze, Serenade für Cello solo.]
Am Sonnabend, ständige Dschungelleser werden es gemerkt haben, bin ich völlig ausgefallen; es wurde erzählt, leise, diskret, ich hätte gegen fünf Uhr morges einer Freundin weinend im Arm gelesen und sei dann, zusammen mit meinem Jungen, nicht ohne die Bemerkung zu Bett gegangen, daß ich um halb fünf aufstehen müsse, um zu arbeiten. Diese halb fünf waren natürlicherweise nicht mehr realisierbar, also ließ mich mein Unbewußtes bis halb neun Uhr schlafen; mein Junge gewann dann den Kampf um die Decke, und ich schaltete in der noch restlos verratzten Nachfeier-Küche den Laptop an, brachte es auch tatsächlich bis
Arbeitsjournal. Sonnabend, der 23. August 2008.
9.40 Uhr:
[Falckenstein.], dann brach die innere Disziplin nicht zusammen, nein, sie registrierte, daß sie noch bis zu den Oberschenkeln im Alkohol stand und v i e l Zeit brauchen würde, ihn abzubauen. Sie brauchte den ganzen Tag. Gegen zwölf stand mein Junge auf, ab elf waren auch die anderen, oder die meisten, wieder zu sehen, ich ging Brötchen kaufen und bewunderte die enge, hellrote, übers hochgebundene Haar zusammengenommene Burka einer türkischen Bäckerstochter, deren Schönheit meiner Imagination von ihr in nichts nachstand; Ausdrücke der Bewunderung auf den Lippen kehrte ich um und legte ein paar dieser Ausdrücke in der Falckenstein auf den Tisch, woraufhin der Profi mit dem Kopf schüttelte und bemerkte: „Aber die ist doch sowas von dumm!“ Ich bestritt das, a) als Chevalier, b) aus Gründen des Nichtwissens, c) zur Verteidigung meines Innenbildes. Dann verging der Nachmittag mit Beijings Olympiade, besonders die Hochspringerinnen nahmen uns gefangen, wobei der Profi, als Andrea Friedrichs Fingernägel ins Bild kamen – die deutschen Nationalfarben darauf lackiert, und dann auch noch falsche Nägel, nein, man weiß nicht, was schlimmer ist – — wobei jedenfalls der Profi den prinzipiell wahren Satz prägte: „Jemanden, der solche Fingernägel trägt, will ich nicht auf der Siegerbank sehen.“ Konsequenterweise schied die Friedrich dann auch aus, und Sie erfahren jetzt den wahren Grund; mit ihrer einen Gesäßhälfte hatte ihr Scheitern nichts zu tun, sondern war ausschließlich die Folge einer auf Frau Friedrich vom Herrn Profi unter meiner mentalen Mitwirkung konzentrierten Schwarzen Magie. Sò. Und daß die Medaille an Belgien ging, mag ich noch heute feiern. (Auffällig und ärgerlich übrigens auch, daß die Berichterstattung, wenn „die“ Deutschen rauswaren, immer gleich auf eine andere Disziplin switchte, wo „sie“ noch drinwaren. Als spielte es eine Rolle, welchem Land diese Athleten angehören; zu bewundern ist doch i h r e Leistung, nicht die eines Landes.) [Henze, Musen Siziliens.]
Um achtzehn Uhr war mein Innenalkohol dann so abgebaut, daß ich es wagen konnte, heimzuradeln; mein Junge, der sich mit dem Sohn des Gastgebers angefreundet hatte, blieb noch bis zum Sonntag da. Am Terrarium packte ich >>>> die horen-Fahnen aus und begann mit den Korrekturen; um halb elf fielen mir die Augen zu, ich ging schlafen, schlief bis halb fünf am Sonntag durch, stand auf, verfolgte den üblichen Morgenablauf, radelte dann in die Arbeitswohnung und hab dann >>>> hier alles durchkorrigiert. Es sind diejenigen Stellen, nahezu einhundert sehr kleingedruckte Seiten, die der Herausgeber als Beispieltexte in dem Band haben möchte. Dazu kommen zu scannende Bilder, Arbeitsorte und -materialien betreffend usw. Von halb elf bis fast halb eins dann mit dem Redakteur der horen telefoniert, der nun alles sehr sehr eilig macht. Am Donnerstag wird er hier in Berlin sein und sich zwei Originale von Ror Wolf gegen lassen, die ich gern im Band drin hätte, weil sie mir über die ganzen Anderswelt-Jahre enorme Inspirationsgeber waren.
Okay, das wurde alles fertig, auch ein Briefkasten mit Sonntagsleerung ward gefunden.
Jetzt geht es an die Bibliografie, die noch fertig zusammengestellt werden muß; Ralf Schnell hat einige Fragen per Mail, mir fiel überdies ein wenig was für Die Dschungel ein. Und dann denke ich seit gestern, seit ich die ganzen Arbeitsnotate durchlas, sehr darüber nach, ob ich die BAMBERGER ELEGIEN nicht erst einmal noch wieder zurückstelle und statt dessen fürs nächste Jahr an den Endlauf von ARGO gehe. Das ist mit >>>> Dielmann abzusprechen, den ich nachher deshalb anrufen werde. Mir käme das momentan jedenfalls vernünftig vor, schon damit man die Wirkung, die dieser horen-Sonderband haben könnte, nicht verpuffen läßt.
Guten Morgen. Mein Innenalkohol ist abgebaut. Und – sowas ist ja immer Nagelprobe – noch als ich in der Nacht auf den Sonnabend so voller Pastice, Wein und Whisky war und um mich herum recht tüchtig geraucht wurde, hatte ich nicht einmal das Bed ü rfnis, da mitzutun.
Zwei Tage lang auch nicht an mein Cello gekommen; da werde ich heute einiges nachüben müssen.
15.28 Uhr:
Jetzt geht es um Bildersuche für das Cover. Und ich hänge mal wieder an einem der Gedichte fest, schon seit paar Tagen, übrigens; es geht nicht vor, es geht nicht zurück. Immer noch das Mariengedicht. Möglicherweise, so denke ich seit gestern entschieden, werde ich aus DER ENGEL ORDNUNGEN unmittelbar vor Drucklegung alles rausschmeißen, und zwar radikal, was auch nur in Spuren nicht stimmt. Dann wird der Band dünner, aber das macht ja nichts. Für einen Lyrikband wird er immer noch fett genug sein.