Ich muß erst einmal durch diesen ganzen Wust von Täuschung, Selbsttäuschung, projezierter Harmonisierung, Liebeswille, Repräsentation und Inszenierung sowie-bzw-durch die sich darin abermals realisierten Strukturen („Allegorien“) hindurch, um zu begreifen. Dazu gehört auch, was mir AnO gestern nacht noch geskypt hat: Alles für die Schönheit. Das ist tragisch. Aber so ist es in der Kunst auch. (Irgendwie kann ich Dich verstehen.)Daran i s t ganz sicher etwas, es fällt a u c h, aber nicht nur und schon gar nicht für die letzten drei Jahre, unter „Repräsentation“. Eine letztliche Erklärung ergibt das nicht, weil Schönheitssuche nicht nur von einem, sondern von vielen Menschen erfüllt werden kann, und zwar selbst dann, wenn man alle Frauen herausnimmt, die pheromonal inkompatibel sind. Dennoch kann diese spezielle, auf DIE EINE bezogene Schönheitsverehrung das Ausmaß eines Wahnes annehmen, >>>> wie Kokoschka deutlich vorgeführt hat, an den ich heute morgen denken mußte, als ich die Schaufensterpuppe auf meinem Ofen ins Auge nahm.Die Depression, die sich nun doch gestern abend ein wenig durch mich hindurchbreitete, ging flugs mit dem zu späten Aufstehen hinweg, deutlich mit dem Ansatz, nachdenken zu wollen. Es kann nicht mehr um die Frage gehen, wer ich sei und wo ich meine Mitte hätte; sie kann schon meines Jungen wegen nicht länger mehr in einer Liebes-Projektion liegen; sie muß, subjektiv, in mir selber und objektiv in meinem Werk liegen; das „Was ich bin“ hat ein „Was ich bewirke“ zu werden. Ist es wohl auch schon. Interessanterweise über meinen Jungen. Es scheint mir immer deutlicher zu sein, daß mein Selbstverlust begann, als sich meine Eltern trennten und mein Vater für uns zwei Brüder schlichtweg verschwand, von einem Tag auf den anderen (ich war damals vier). Das herausgearbeitet zu haben, war eines der „Ergebnisse“ meiner Analyse. Etwas zu erfahren, heißt aber nun nicht, daß die Wunde verschwindet, sie bleibt und sie wirkt, aber sie wirkt nicht mehr irrational willkürlich. Sondern man arrangiert sich und beginnt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das war, was, dachte ich, Alma und mich schließlich verband: die Einigung darüber, von unseren Kindern das abwenden zu wollen, was in uns beiden immer noch als Struktur durchschlug. Es ging darum, fremde, auf einen überkommene Strukturen aufzulösen, bevor sie auch von den Kindern Besitz ergriffen. Nun sind diese Strukturen wieder agiert worden; das macht mich einerseits hilflos, andererseits so entschieden jetzt. Und ich sehe mich schon umziehen, sehe mich meine Arbeitswohnung – seit fünfzehn Jahren d a s im Raum objektivierte Zentrum meines Ichs – auflösen, um anderswohin zu ziehen und rundum Vater zu werden. Es kann nicht angehen, daß sich meine inneren Kataströphchen vor die mögliche Realisierung objektiver Lösungen schieben. Ich brauche eine räumliche Objektivierung nicht mehr. So mache ich mich bereit.
Die Fragen müssen ganz andere sein, die Handlungsrichtung muß eine andere sein: Wie finanziere ich die mögliche neue Situation und wie bringe ich sie mit meinen Berufserfordernissen übereins, zu denen eben Abwesenheiten wegen der Lesungen, auch wegen des Heidelberger Lehrauftrags gehören, dem weitere Lehraufträge folgen könnten; das war bislang in der Perspektive. Und sowieso, wie stelle ich mich auf ökonomische Füße jenseits meines recht praktikabel ausgeprägten Pumptalents. Es hat sich mal wieder, mit drohgebärdiger Formulierung, ein Gerichtsvollzieher angekündigt. Der braucht einen Tanzschritt vorgeführt, der mit Niedergeschlagenheit ganz sicher nichts zu tun hat. Auch hier ist wieder Musik der Schlüssel: Ich höre den Busoni und fühle unmittelbar: gut, daß ich lebe. Gerne zu leben heißt, gerne zu kämpfen. Alles andere ist Täuschung. Ich denke, daß ich dem Gerichtsvollzieher genau das als allererstes sagen werde. Und dann bekommt er einen Kaffee.
(10.34 Uhr). Noch eins, im Nachtrag (Fischer-Dieskau hat gerade sprechgesungen: „Tag meiner Kindheit“): Indem ich Alma als fremdgetrieben-selber begreife, wird der Schmerz von einer Nachsicht aufgelöst, die seltsam nahe am christlichen Konzept des Mitleides ist. Manfred Hausmann, Gebet um >>>> Barmherzigkeit, das er „Liebe“ nannte:
laß uns barmherzig zueinander sein.