Der Schmerz ist groß, aber er genügt nicht. Ich weiß, es ist für mich nicht vorbei, ich liebe sie weiter. Ich sehe sie an, sie trägt einen neuen Ohrstecker rechts, einen kleinen Brillanten, seit gestern. Doch kein Schmerz, keine Verwundung kann die Gewißheit dieser Liebe stören, sie glüht immerfort in meinem Grund. Sie hielt Entfernung aus, sie hielt aus, daß in drei Jahren keine Berührung zugelassen war, die über einen Kuß mit geschlossenen Lippen hinausging, sie hielt aus, daß man nie mehr zusammen einschlief und darum immer getrennt erwachte; sie macht anderer Kinder zu eigenen, die man mit zur Welt bringen hilft und wie eigene liebt; man verliert sie, dennoch tut das dieser einen Liebe keinen Abbruch, es verletzt nur, aber sie bleibt. Ich weiß, käme sie zurück in zwei Jahren, selbst wäre sie schwanger und bäte, man möchte auch hier der Papa werden: ich tät’s. Man wird sagen, das vergeht mit der Zeit; aber ich habe die Erfahrung gemacht, es vergeht n i c h t. Wie oft habe ich von Frauen, die sich zurückzogen, gehört: „Der Platz, den ich möchte, ist bei dir nicht frei.“ Wie oft habe ich gehört, und auch gewußt: Was habt ihr gemeinsam außer einer Illusion? Ich habe gelernt, daß es nicht stimmte, es sei nur die erotische Obsession gewesen – da sie nicht mehr sein durfte, und dennoch blieb diese Liebe. Ich muß sie nur ansehen. Es ist das, was ich am wenigsten darf. Weil es so um mich bestellt ist, ist es von solch enormer Wichtigkeit, daß ich meinem Sohn ein Zentrum gebe, das nicht nach ihrem Belieben geändert werden kann. Sie mag wiederkommen, sie mag wieder gehen und abermals wiederkommen: für den Jungen bedarf es eines Ortes der Stabilität.
Die Zwillingskindlein mochten nicht schlafen, sie weinten. Ich weiß, daß ich mich – um ihres Heiles wegen – von ihnen nun fernhalten muß. Ich konnte es nicht. Ich ging ins Schlafzimmer und legte mich zu den beiden. Der Bub schlief ein, kaum daß ich mit ihm sprach; das Mädchen wollte den Kopf auf meine Brust legen, da weinte sie nicht mehr. Es brauchte lange, bis sie schlief. Es wird eine unruhige Nacht für die beiden werden; sie haben zum ersten Mal bei dem leiblichen Vater geschlafen gestern, es war zum ersten Mal keine vertraute Stimme da. Ich hätte gerne geweint. Das ist mir bisher nicht gelungen. Die Kinder weinten, sie haben dazu ein Recht, nicht ich.
Habe eine Flasche Wein geöffnet, habe mir einen Film ausgeliehen, für das Cello ist es auch hier in der Arbeitswohnung nun zu spät. Morgen früh werde ich gleich, wenn man dort öffnet, hinuntergehen und den Gedichtband aus dem Laden holen. Ihn auspacken, ihn durchblättern. Er wie alles, was ich künstlerisch tat, hat einen hohen Preis. Ich glaube daran, daß es ein Schicksal gibt – kein von irgend einem anderen Bewußtsein gelenktes, ganz sicher nicht; Schicksal aber d o c h.