Der Mittag des 14. Dezembers 2008.

Ich ging mit meinem Jungen durch einen riesigen Tierpark spazieren, in welchem um fünf Uhr nachmittags in einem gesonderten Gebäude ein Spielfilm vorgeführt werden sollte, den wir uns ansehen wollten. Es war dieser Tierpark aber auch, neben weiten Rasenflächen und Seen, ein Labyrinth verschiedener Häuser und Tunnels und Baracken, Plätzchen mit Cafés und Tanzvergnügen und sonstigen, teils akrobatischen Darbietungen. Ich war vormals schon einmal dagewesen. Um bestimmte Gänge begehen zu können, hatte ich einen eigenen Schlüssel bekommen, wie ihn nicht ein jeder hat. Diesmal hatte ich eine Karre dabei, in welcher ich meinen Jungen zog, und hintendran war ein weiteres Wägelchen befestigt, worin ein junger Orang-Utan saß; der gehörte zu uns. Wir spazierten stundenlang durch das Gelände, ich nahm verschiedene Türen und zeigte meinem Jungen und dem Orang-Utan dieses und jenes, wovor wir staunend stehenblieben, woran ich mich jetzt aber nicht mehr erinnere – außer an den Umstand, daß für mich von nahezu allem eine Strömung des lustig-Unheimlichen ausging, ja des Beklemmenden. Das war aber nicht derart offenbar, daß ich es mit meinem Kind geflohen hätte; es war viel zu phantastisch und märchenhaft, um zu fliehen; ich möchte sagen: alles war hochgradig magisch aufgeladen.
Nach vieler Zeit – immer wieder streifte mein Junge auf eigenen Beinen umher, immer wieder kletterte auch der Orang-Utan irgendwo herum, und schließlich watschelte er, nicht sehr viel größer als mein Sohn, hinter uns her – … – nach vieler Zeit also mußten wir kehrtmachen, um rechtzeitig für das Kino an dem richtigen Ort zu sein. Wir schaffen das auch noch, haben sogar ein wenig Spielraum noch, so daß wir uns an den großen See setzen, der neben dem Gebäude ausgebreitet ist.
Da bemerke ich, daß der Orang-Utan nicht da ist. Aber mein Junge meint, ihn vom gegenüberliegenden Ufer aus zu uns herüberschwimmen zu sehen. Doch als das Wesen nähergekommen ist, das da durchs Wasser gleitet, sehen wir, es ist ein Hund, der mit uns gar nichts zu tun hat, sondern zu einer Familie neben uns gehört, die es sich am leichten Hang auf einem ausgebreiteten Tuch bequem gemacht hat. Als ich nun bemerke, daß nicht nur der Orang-Utan verschwunden ist, sondern an unserem Karren auch noch das Wägelchen fehlt, werde ich unruhig und bitte meinen Buben, hier auf mich zu warten; ich müsse unbedingt nach diesem Wägelchen suchen und fände dabei, sage ich, ganz sicher auch unseren Affen wieder. Ich solle mir keine Sorgen machen, sagt mein achtjähriger Junge; er werde hier ganz ruhig auf mich warten: ich möchte mich aber bitte beeilen, damit wir nicht den Film verpaßten.
Also spurte ich los. Die Wege, die wir gegangen waren, habe ich sehr genau im Kopf behalten und die Abkürzungen sowieso, die für uns meines Schlüssels wegen möglich gewesen waren. In einem solchen sehr verwinkelten Gang, ganz am Ende vor dem Ausgang, dahinter ein belebtes Plätzchen lag, meine ich, den Orang-Utan auch zu entdecken, und ich gehe nahe heran. Er sitzt auf einem Kinderwagen, auf der Führungsstange, ist wie ein Papagei gekleidet; überdies hat er ein ganz grünes Fell. Ich denke, man hat ihn gefärbt, sein Gesicht sieht ganz so wie das des unseren aus; aber die dazugehörenden Kinder lachen mich nur an, so saß mir klarwird, das ist ein anderes Tier, auch wenn es, als es mich da ansieht, genauso blickt, wie unser Orang-Utan immer geblickt hat. Nein, ich merke, es ist ein Irrtum, und suche weiter. Hinüber auf den Platz. Nirgends das Wägelchen, nirgends das Tier. Ich immer im Laufschritt. Es wird zunehmend spät, der Film ist ganz sicher längst verpaßt.
Da sehe ich, daß überm gegenüberliegenden Rain einer Prärie – dort, wo ein hoher Hang in sie hinabfällt – ein großer Traktor festgekeilt ist; seine Vorderräder ragen über den Abhang hinaus, der Rest der Zugmaschine ist verborgen; aber vor das Führungshäuschen selber ist, wie um es zu verbergen, über die Baggerschaufel mein Wägelchen eingelassen und festgeklemmt worden. Ich laufe hinüber, ich erklimme den Hang, erklimme hälftlings den Traktor und versuche, unser Wägelchen, um das es sich tatsächlich handelt, loszubekommen. Ich muß zerren und ziehen, aber der kleine Hänger will sich nicht lösen. Ich muß noch weiter auf den Traktor hinaufklettern, außen herum, es ist nicht ganz ungefährlich, ich strecke wieder die Hand aus – und erwache erschrocken.

[Siehe hierzu auch >>>> São Paolos Hirsche.]

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