Arbeitsjournal. Dienstag, der 27. Januar 2009.

[Schnittke, Erstes Cellokonzert.]

ANH : Hier sieht’s nach totalem Chaos aus: alles Bettzeug liegt noch übern Boden, die Luftmatratze, Isomatte, mein eigenes Bettzeug… irgendwie zerfällt alles. Teller stehen verdreckt und eingeklebt herum, wie in einer Junky-Bude.
Αναδυομένη : Ja, es zerfällt, und gleichzeitig entstehen neue Strukturen… so ist Leben..
ANH : Im Moment entsteht gar nichts, ich schaffe ja überhaupt nichts mehr. Wahrscheinlich, >>>> notierte ich vorhin, hat mich diese Trennung doch sehr viel tiefergehend aus dem Geleis gehauen, als mein Pragmatismus das eingestehen will.
Αναδυομένη : ja, aber guck, was mit mir passiert…. da schaffst du doch gerade auch was…
ANH : Daß ich jetzt schon verschlafe, obwohl ich meinem Sohn eine Struktur geben muß, ist wie ein Alarmzeichen für mich gewesen.
Αναδυομένη : das hat mich auch erschreckt
ANH : Weißt Du, wenn man existentiell so unsicher lebt wie ich und das seit zweieinhalb Jahrzehnten tut, dann muß da ein Gegengewicht sein, das es rechtfertigt. Dieses Gegengewicht ist momentan nicht mehr da.
Αναδυομένη : und das Gewicht IST die Struktur?
ANH: Ich war immer absolut konsequent, was literarische Arbeit angeht, absolut radikal, was meine Zeiten angeht.
Αναδυομένη : Bist du weich geworden?
ANH : Ich werde ein Weichei, menschlicher vielleicht, aber ein Weichei.
Αναδυομένη : oh mann, ich hoffe bloss, das ist nicht mein Einfluss, der dich so weich macht… dann hätte ich wirklich ein schlechtes Gewissen
ANH : Nur meine Radikalität hat zu diesem Werk geführt. Im Augenblick verliere ich es. Weißt Du, in den ersten anderthalb Jahren mit Lelio, da bin ich nach dem Vögeln aufgestanden, egal, ob es zwei oder drei Uhr nachts war, und bin in die Arbeitswohnung gefahren, um pünktlich am Schreibtisch zu sitzen. Sie hat darunter sehr gelitten, aber ich habe Thetis, habe Stücke geschrieben, habe das New-York-Buch geschrieben…
Αναδυομένη : Ja, ich weiss. Deshalb meine Überraschung, dich morgens immer noch bei mir anzutreffen…
ANH : Die drei Jahre Entzug jetzt haben mir ein Bedürfnis nach Aufwach-Nähe gemacht, das diametral meiner Arbeit entgegensteht. Ich bin total glücklich dann, wenn ich bei Dir aufwache – aber ich schaffe nichts mehr. Dazu kommt ja, daß nachmittags immer mein Junge hier ist; wenn er sich verspätet, warte ich oft eine Stunde, ohne was tun zu können, dann die anderthalb mit ihm – das reißt einfach aus der Arbeit raus. Imgrunde habe ich zum Arbeiten nur noch einen halben Tag. Aber ich habe derzeit auch gar keine L u s t zu arbeiten, das ist das Hauptproblem, es ödet mich an. Nur das Cello nicht. Ich weiß nicht mehr, w o z u ich eigentlich schreibe, was das Ganze soll.
Αναδυομένη : Dann brauchst du diese Pause!!!
ANH : Ich verkaufe keine Bücher, die Bücher erscheinen dann logischerweise auch nur zum Schein, es gibt keine Vorschüsse, keine Einnahmen, keine Preise…. nix.
Αναδυομένη : Wenn >>>> Dielmann so einen Mist macht wie mit >>>> dem Engel, dann ist das natürlich extra blöde.
ANH : Aber ich bin ja eh einer, der Bücher schreibt, die niemand will. Was ich a u c h wieder verstehe, weil ich längst der Überzeugung bin, daß es mit der Literatur zuende geht. Man muß das nicht beklagen, es kommen andere, neue Formen, nur sind es halt nicht meine. Und für die einzige, die meine noch w ä r e, Musik, bin ich zu alt unterdessen – einmal abgesehen davon, daß ich ein weiteres Studium gar nicht finanzieren könnte. Aber das wäre, was ich jetzt wollte: nur noch musizieren.
Αναδυομένη : Das sind Scheinargumente. Wenn du schreiben musst, dann ist dir das mit dem Verkauf egal, also musst du da jetzt durch durch diese Phase! Was auch immer danach kommt, vielleicht „nur“ Musik, wer weiss…
ANH : Ich hab schon gedacht, es wäre besser, mit dem Cello wieder aufzuhören. Es frißt Zeit, viel Zeit, und führt zu nichts mehr, wovon ich meine Existenz, geschweige denn die meines Jungen finanzieren könnte. Vielleicht muß ich diese Trennung jetzt a u c h noch vollziehen, radikal, um in meine Radikalität zurückzufinden.
Αναδυομένη: (ganz heimlich still und leise denkend: ich will aber nicht, dass er aufhört zu schreiben. Kruzifix!!)
ANH : Ich werd gleich mal Ordnung hier schaffen, auch auf dem völlig chaotisierten Schreibtisch.
Αναδυομένη : ich bin der festen überzeugung, dass Du in deiner Ästhetik mit >>>> Meere an einem Punkt angelangt bist, der dich dir auch einem weiteren Publikum öffenen wird.
ANH: Glaube ich nicht. Das Buch ist tot, wenn da nicht eine irre Mund-zu-Mund-Propaganda läuft. Über die normalen Literaturvermittler wird da n i c h t s gehen. Anders ist es mit den Gedichten, die könnten einen Durchbruch bringen. Aber da hängt alles an Dielmann, der nicht liefert.
Αναδυομένη: es geht nicht um Meere selbst, es geht um den Stil, um die Art und Weise, wie es geschrieben ist. Gut, ist auch ein großes Thema, diese LIEBE! Klar.
ANH : Thetis ist nicht anders geschrieben, und der Wolpertinger ist über ganze Hunderte Seiten sowieso noch mal ein völlig anderes Format. Doch alledie letzten zwanzig Bücher sind tot imgrunde, da gibt es nur ein paar wenige Kenner. Es ist für mich einfach nicht mehr ausgemacht, momentan, weshalb ich zwanzig toten Büchern noch eines hinzuschreiben soll, das dann auch sofort umkommt.
Αναδυομένη Tote Bücher: T.C. Boyle schrieb das Buch, das ihn berühmt gemacht hat, irgendwann in den achziger Jahren, und entdeckt wurde er erst Ende der Neunziger, auch so ein wuchtiger Erzähler. Dann gab es auf einmal Mengen an Büchern von ihm, weil schnell alles verlegt wurde, was er geschrieben hatte. Natürlich war nicht alles gleich gut, aber immer wieder war Grandioses dabei.
ANH : Grad finde ich eine Anfrage von >>>> Isolde Ohlbaum, ob ich ihr am Freitag für einen Fototermin zur Verfügung stünde.
Αναδυομένη : Isolde Ohlbaum… siehste!
ANH : Na ja, Isolde kennt mich ja; sie hielt sich immer wegen >>>> Susanne Schleyer zurück. Die alten Fotos hinten im >>>> Horenband sind doch auch von ihr. – Aber mach Dir keinen Kopf; es ist heute einfach nicht mein Tag – ich erschrak zutiefst wegen dieses Verschlafens. Ich halte vor allem diesen konturlosen Schwebezustand nicht, in dem ich mich momentan überall befinde. Oder nicht: „ich halte nicht aus“, sondern einfach nur: ich halte ihn nur schwer aushalte. Es ist wie ein Umbruch, der vollzogen werden muß, den ich aber nicht vollziehen kann, weil die Umstände es nicht erlauben. Also bin ich in Wartehaltung. Das zermürbt. Dielmann gehört dazu. Ich habe keine Energie, die Bamberger Elegien fertigzustellen, zum Beispiel, wenn er zwar sagt, das Buch machen zu wollen, ich aber doch wieder davon ausgehen muß, daß es nur verzögerndes Chaos damit geben wird. Ich warte sozusagen an allen Fronten, sogar auf mein Geld warte ich. Früher hat es mich zwar gestört, aber nicht gehindert, wenn ich ins Leere schrieb. Ich tat’s einfach trotzdem, angetrieben von meiner Energie-Disziplin. Hat ja auch was gebracht. Aber da war ich jünger, und es brannte immer Ernst Blochs Prinzip Hoffnung in mir. Unterdessen bin ich jedoch 53, und es will mir vorkommen, als drehte sich das Prinzip Hoffnung allmählich in ein „Prinzip hoffender Dummheit“, weil ich mich weigere, die Realität zu akzeptieren. Da ich jetzt Vater bin, darf ich dieses Nicht-Akzeptieren auch gar nicht durchhalten, sondern muß Realität als Realität zu begreifen lernen, wenn ich dem Jungen nicht schaden will. Da liegt eines der Probleme.
Αναδυομένη : Vater sein: das ist es eben a u c h, was Kinder mit einem machen… (ich habe da eine ganz unsentimentale Sicht). Es ist aber gerade dies, das angetrieben-Sein, Prinzipien haben, aus seinem Können was machen, es nicht verbrachen zu lassen, was dich ausmacht, was deine Aura ist, ich nenne das jetzt einfach mal so. Du musst aufpassen, dass Du über diese Sache hinweg nicht verbitterst. Bitte!
ANH : Nö, verbittern tu ich nicht, ganz sicher nicht. Davor bin ich gefeit. Abgesehen davon, kann ich nicht mal resignieren, weil ich mich in eine Situation hineingeflößt habe, aus der es objektiv kein Zurück mehr gibt. Es ist de facto nicht möglich, noch einen anderen Beruf zu ergreifen. Ich bin dazu schlichtweg zu alt. Also werde ich so oder so weitermachen. Nur ist momentan die Luft so raus.
Αναδυομένη : Luft so raus: wunderts Dich???
ANH : Ja.
Αναδυομένη : Mal ehrlich, andere, die nicht solche Kämpfer sind wie du (einen davon kenne ich persönlich), hätten schon lange klein beigegeben…
ANH : Nie naalahten – Ribbentrop-Wappenspruch.
Αναδυομένη: Lass das mal zu, das ist die Katharsis, danach wird es besser gehen
ANH : Ja, es ist wahrscheinlich eine P h a s e. Aber mir fremd, ich kann damit kaum umgehen, zumal jetzt, wo ich meinem Jungen für das Gymnasium Struktur vorleben m u ß.
Αναδυομένη: Nachlassen tust du ja nicht. Du machst nur eine Pause/Neuorientierung, auch literarisch, bin ich mir sicher… Und heute gehen wir früh schlafen… und morgen stehen wir früh auf… ich werde drauf achten, dass wir nicht schludern!!
ANH: Neuordnung: Das ging mit dem Gedichteschreiben ab Mitte 2006 los, schon das war eine Neu-Orientierung. Dann kam das Cello hinzu, das auch enorm viel Arbeitszeit aufsaugt.
Αναδυομένη: Ich verstehe das Cello-Problem, aber du solltest in diesem Moment, da es dir gut tut, nicht drauf verzichten.
ANH: (Bin eben weg, Zigaretten holen. Sinnvoll, weil ich gleich mal den furchtbar vollen Altpapier- und Müllbehälter von neben dem Schreibtisch leeren kann: der ist riesig, aber quillt schon über; der Abfall fällt einfach daneben, wo ich ihn dann achtlos liegenlasse. A u c h schon ungut.
– – – – –
ANH : Zurück. Meine Vietnamesen-Schmuggler waren nicht da; ich ertappte mich dabei, wie ich – eine weiteres Mal – in die Warteposition ging. Plötzlicher Ekelanfall: so abhängig!
Αναδυομένη: nun, das wiederum hast D U in der Hand!
ANH: Eben. Also beschloß ich, nicht mehr zu rauchen. Und radelte zurück.
Αναδυομένη: Bring die Laufschuhe mit, morgen Früh gehen wir laufen!!
ANH: Darf ich nicht auf Asphalt. Sollte ich auch nicht. Aber ich fahre täglich 20 km mit dem Rad, und wenn ich zur Oper oder zum Cellounterricht muß, sogar 40. Das sollte wohl reichen. Jedenfalls muß ich den Entschluß durchhalten, weil es, anders als in der Literatur, keinen objektiven Grund gibt, ihn n i c h t durchzuhalten. Schaffe ich das n i c h t, dann ist es w i r k l i c h e Schwäche. Ich habe einen Ekel vor Schwäche. Es sind noch >>>> Nicotinellen da, die sollten helfen im Notfall.
Αναδυομένη: Also wegen MIR musst du das nicht tun, aber das ist klar oder?
ANH : Mit Dir hat das nichts zu tun. Ich brauche einen Erfolg und etwas, das ich selbst in der Hand habe. Das nicht von anderen Leuten abhängig ist. Es ist meine alte Regel: Auferlege dir einen Z w a n g, ein absolutes Muß, wenn es nicht anders geht. Leben ist Kampf und n u r Kampf, es ist wie im Krieg: wenn man eine Sekunde nicht aufpaßt, ist man tot. Oder wie im Dschungel, das trifft es besser, weil die Dschungel eben zugleich auch das allergeilste Leben ist.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 27. Januar 2009.

  1. ich hatte gestern ein gespräch mit meiner freundin, die sich manchmal für alles zu alt fühlt, sie ist acht jahre älter als ich, aber nie aufgehört hat, all das anzufangen, wonach ihr ist, inzwischen singt sie in einem brasilianischen chor, wie es der zufall so will, sie kann tanzen, trommeln, singen, trompete und klavier und so vieles mehr, und wenn sie zerknirscht ist, sagt sie, ich kann aber nichts richtig und ich hab es ja nicht studiert. es kommen menschen zu ihr und bedanken sich für ihre schöne stimme. sie hat philosophie und freie kunst studiert, macht in video, war meisterschülerin. ich fühle in vielem ähnlich, manchmal werden wir für schwestern gehalten. wenn ich in berlin bin, ist sie meine emotionale heimat. sie hatte nie viel geld, aber versteht es, gute laune zu behalten und zu verbreiten, eine odyssee durch psychotherapien jeder art liegt hinter ihr. ich habe so oft gedacht, was für eine kraft diese frau hat. dabei wirkt sie nicht kräftig, sie wirkt herzlich und vital. ihr aktuelles problem war: vielleicht mache ich ja erst mal mit der stimme weiter, aber ich hab das ja nicht studiert. für den klassischen stipendienweg und betriebsgang durch die galerien hat sie weder das entsprechende netzwerk, noch das medium mit der videokunst, das sie von ihrer kunst leben ließe. und ich sagte, es ist nicht wichtig, was du studiert hast, und dass du eigentlich bildende künstlerin bist und sein willst, du hast in deinen videos immer mit deiner stimme gearbeitet, du warst selbst oft das objekt deiner videos, du bist die kunst, es ist ganz gleich, welcher inszenierung du dich dabei bedienst, es ist gar kein aussetzen deiner bildnerischen tätigkeit zugunsten des gesangs, so darf man das gar nicht sehen. es ist eigentlich nur ein weiterer teil deines ausdrucksspektrums.
    und so ist es auch mit dem cello, ja, meine güte. ich kenne das, ein anderer freund, sechsstelliges jahresgehalt, aber eben auch jazzbassist, sagte mir mal, vielleicht schmeisse ich das alles hin, und spiel nur noch bass, aber da ich im bass spielen nicht gut genug bin, mach ich das vermutlich nicht, vielleicht vertick ich besser meinen bass. und ich sagte, man muss nicht in allem profi sein und metheny hat gesagt, wir sind alle amateure, sagte er. to rococo rot haben eine sehr schöne cd gemacht, die heißt the amateur view.
    wenn sie sich mit dem cello, wie mit der schreibe, in etwas einreihen wollen, was sich betriebsmäßig professionalisieren können lassen muss, dann ist es vielleicht für einiges etwas spät und hoffnungsfern, aber sie spielen doch längst neben diesen gleisen und bauen ihre eigene trasse aus, und wer sagt, dass man sie nicht auch einmal dafür für auszeichnungswürdig befinden wollte? man darf sich nicht ärgern. und wenn man mal eine sekunde nicht aufpasst, passen vielleicht ein paar andere auf, ganz allein steht man damit meistens nicht. man wird in eine ungute aggressionsappetenz getrieben, das kenne ich auch, man darf sich nur nicht kirre machen lassen, kill them with kindness.
    meine freundin sagte es mal sehr deutlich, als sie ihren ex-mann traf, sie hatten zusammen kunst studiert, und sie fragte, ob er noch etwas machen würde, und er antwortete, nein, meine kinder sind meine größten kunstwerke. danach sagte sie mir, ich weiß nicht, ich bin oft unglücklich, aber ich habe ihn mister grey getauft, mein unglück erscheint mir so viel bunter.

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