Sechster Tag vor den Kalenden. Dies nefastus publicus. An diesem Tag nahm Caesar Alexandria ein.
Die Stadt gibt es noch. Liegt jenseits des Meeres, von Matala an Kretas Südküste aus gesehen. Und nicht gesehen. „Und wenn dann sehen wir uns nie oder wieder im Tempel des Todes“. Schrieb mir die eine auf einen Zettel und noch mehr, ein Gedicht halt. Muß ’72 gewesen sein. Nein, es war ’74. Die damals noch geltende Zeiteinteilung nach Fußball-Weltmeisterschaften. Denn Mexiko war ’70 und England ’66. Jedenfalls gab’s keinen Fernseher im Ort und fürs Endspiel zwischen der BRD (diese Abkürzung dürfte heute völlig vergessen sein) und den Niederlanden mußte man einen anderen Ort aufsuchen. Ich war aber bereits in der Lage, darauf verzichten zu können. Hotels gab’s auch nicht. Geld dafür sowieso nicht. Man schlief in Schlafsäcken im Freien. Oder auch mal eine Nacht ohne Schlafsack einfach an einem menschenleeren Strand hingemümmelt. Ein bißchen Angst bescherten die streunenden Hunde. Ich wußte nicht zu unterscheiden, ob’s freundlich oder feindlich war dieses An-Mir-Hochspringen, so ganz ohne Zähnefletschen. Ob dem einen nicht doch der Instinkt die Kehle als einladenden Ort für die Zähne erscheinen lassen könnte. Nichts sonst hatte ich ja zu bieten. Und schon damals: meine Schreiberei. Der Rest war schon immer kompliziert. Ich umgab und umgebe die Menschen immer mit einem Eisblock. Oder so: ich verhandele mit der Spitze des Eisbergs. Und das ganze Ritsch-Ratsch findet unter Wasser statt, wo man ohne Taucherbrille eh’ nichts sieht. Aber vielleicht den Gesang der Wale hört. Und seh’ mich nackt in einer anderen griechischen Bucht (Chalkidiki) schwimmen und nach Seeigel-Skeletten tauchen. Die es immer noch gibt. Sie liegen dort, wo… ich vielleicht nie wieder hinkommen werde. Als ich nach Matala fuhr, gab’s noch die Militärdiktatur. Als ich (und mein Freund) mit dem Schiff von Kreta in Saloniki eintrafen, herrschte eine merkwürdige Stimmung in der Stadt. Alle Frauen hörten gespannt auf die Radios. Weinten sogar. Auf dem Bahnhof Güterwaggons, die voller Männer waren. Es drohte ein Krieg auszubrechen mit der Türkei. Und das war dann das Ende der Militärdiktatur. Ich fuhr mit dem Zug bis nach Ljubljana. Zu mehr reichte mein Geld nicht. Dann weiter per Anhalter. Der Freund entschied sich für’s Trampen von Saloniki aus.
Freitag, 11 Uhr 30, Zimmer 901.
Sehr schön! Vor allem der Titel: „Rhapsodie in S – also Rhapsodie für das System“. Und dann das Gedicht, das ganze Gedicht!
Begeistert liest der Radiergummimensch einige Verse vor:
Es gibt nur das System
Es gibt nur das Eine
Es gibt nur das System
Es gibt nur eine Sonne
Es gibt nur einen Mond
Es gibt nur das System
Es gibt nur ein Leben
Es gibt nur einen Tod
Es gibt nur das System
Es gibt nur das staatliche Budget
Es gibt nur eine Fußballweltmeisterschaft
Es gibt nur einen „Kampf“
Es gibt nur das System
Mit dem schwarzen Bleistift zieht er auf dem Block Linien, und zum ersten Mal radiert er sie nicht aus mit seinem ewigen Radiergummi.
Antonis Samarakis, Der Paß, in: Die Exekution des Mythos fand am frühen Morgen statt. Neue Texte aus Griechenland. Ffm 1973.
Richtig, die Eisberge. Das Ritsch-Ratsch. Unterschwellig. Die sieben Welt-Wunden. Die sieben Himmel. Die Sieben der alten Frau, die Rüben kocht. Das Hüben im Drüben. Das Fischen im Trüben. Das auch Aurorene des Erinnerns. Und Schrecken dich in einem traum gegen morgen porzellanene puppen mit seziermessern, dann mach Schluß. Caesar verzeih! Den Leopardi bring’ ich jetzt nicht mehr, und somit den Pompeus nicht, den man da, Dich fürchtend, abgedolcht.
Sieben von Elke Erb im Netz gefunden. .
SIEBEN,
welche die Gleichung betrieben,
Stirnlocke stolz, verblieben
im keuschen Lila, im grünen Winkel,
des Rechenschiebers,
des Tagens, des unverhohlenen
Jagens, Tappen geharnischter Sohlen,
Lila im feldfeucht Trüben
vorm Hageholz – Blick der Sieben,
nicht zu weckende Diemen, Schober
im Dunst hin, über den Wiesen,
nicht zu wecken vermögen, im Stieben,
einander die Eigenlieben
Da ich mit Diemen nichts anzufangen wußte, fand ich im Grimm-Netz (hinter mir herausgefischt):
Also: „mehrere bunde stroh, getreide, heu u.s.w. ein diemen stroh enthält 25 bund, ein diemen korn 10 hauf oder hundert garben, BROCKES beschreibt eine heuernte,
da mäht und dorten wendet man:
hier macht man wolken, dorten diemen,
das feld zu meinem nutz scheint gleichsam ganz belebt.“
Semantisch mir sehr zutappendes Gedicht!