Elfter Tag vor den Kalenden. Parilia [„Auch palilia genannt: Feste zu Ehren der Pales, der italischen Beschützerin der Weiden; mit der Asche eines Strohfeuers wurden die Weiden und Herden gereinigt.“]. Mitte des Frühlings. Regen und manchmal auch Hagel (Columella).
Der Übergang von r zu l! Amelia hieß zu Ciceros Zeiten Ameria, und die Einwohner noch heute Amerini mit r. Der Übergang von der Unruhe wegen des im Schloß der Garagentür abgebrochenen Schlüssels und des darauf folgenden eifrigen Telefonierens, bis nur noch Faxgeräte piepend antworteten und bis jetzt niemand zurückgerufen hat („appena possibile“), und ich den Dorfrundgang nach Monaten des Vermeidens um Zigaretten, Brot und Wein (Marcelino pan y vino) wieder aufnehmen mußte, weil das Auto ja in der Garage war, zur Ruhe des Dennoch-Versorgtseins nunmehr. Es hülfe auch nichts, weiterhin unruhig zu sein, weil darunter der Abgabetermin morgen litte. Dem ich heute seit halb 5 schon entgegenarbeitete, weil ich mal wieder um 4 wach geworden. So daß trotz des Arbeitsabbruchs um 3 zehn Stunden abgesessen waren. Dann die Geschichte mit dem Schlüssel. Schlüsselgeschichten haben sicher eine ganz besondere Bedeutung. Natürlich fällt mir jetzt eine besonders eklatante ein. Ich wohnte noch in Berlin und kannte O. seit einem Jahr, die damals noch in Florenz wohnte. Hatte da so einen Mai verbracht, fuhr wieder zurück durch ein üppig grünes Thüringen (ja doch, dort war mir diese Üppigkeit besonders aufgefallen, weiß aber bloß noch, daß die Zugstrecke an Jena vorbeiführte), stehe dann in Neukölln vor meiner Wohnungstür ‚Hinterhof links eine Treppe’ und krame vergeblich nach den Schlüsseln. In Florenz vergessen! Also mußte der Vermieter aushelfen. Wahrscheinlich bedeutet der Schlüsselverlust (-abbruch) nicht unbedingt einen Leseverlust (-abbruch), sondern eher einen Verlust in einem größeren Zusammenhang, der damals schon anfing, sich als Beweglichkeitsverlust (-abbruch) abzuzeichnen. Wobei ich versucht bin, allem Verlust (ohne Abbruch) eine verkappte Lust (mit Bruchstellen) zu unterstellen. Oder was passiert, wenn man sich verlustiert? Die Loren gehen dem verloren, der sie seiner selbst verlustig gehend betrachtet. Da brecht man sich ein ab. Kalauerte ich mit neunzehn, Brecht lesend. Womit ich die Berechtigung finde auf einen kalauernden Leopardi hinzuweisen, der in einem jugendlichen Epigramm, das ich gestern gelesen, meint, Empedokles habe sich in den Ätna gestürzt, weil ihm winters so kalt gewesen, die Sommerszeit hätt’ ihn gewiß davon abgehalten. Heute doch gleich zu Kafkas Briefen an Milena gegriffen, die ich zusammen mit Handkes Versuchen (und Adornos Noten zur Literatur) bekommen hatte. Obwohl ich mich an den Tagebüchern mittlerweile zerlesen und mich selbst oft genug hineingelesen hatte, sind diese Briefe von einer ganz anderen Art. Und ärgere mich jetzt, nicht gleich nach einer Ausgabe gesucht zu haben, die auch ihre Briefe wiedergibt. Nein, ich sollte mich nicht ärgern, die Person der Milena ersteht ja dennoch aus seinen Briefen. Briefkunst. Die Kunst des Eingehens auf den Anderen. So könnte man es nennen. Und dabei sich nicht verbergen. Und verschließen. The keys to given. Ich hoffe, das ist jetzt recht zitiert aus mei’m eklektischen FW-Gedächtnis. Graue Raubtierwolkenflecken vor gemischtfarbigem Himmel (nu jut, Spielarten zwischen weiß, hellgrau und bissel blau, nennen wir’s mal farbig (bunt wäre besser, weil Kühe ja schwarzbunt sein können)), die Lärche zittert, die mir stets die Gesamtansicht des Soratte vermasselt mit ihren grotesken Verzweigungen: so komische Verarmungen, auf deren eine sich grad’ ein Black Bird niederließ. Wollte wohl ein bißchen schaukeln. (Ich habe daran gedacht, das auf anderem Wege angedeutete Kalenderbild zu vergessen, morgen werde ich vergessen, daran gedacht zu haben. Mal sehen, wie sich das mit den Ausflüchten entwickelt.)