Die große Verkündung


Thermodynamische Absurdität
in einem bis eintausend Akten.

Personen:
ANH … Denker u. Dichter
Diadorim… Suchende Dichterin und Denkerin
Parallalie… Dichter u. Denker
Condor: ein Wissender

Condor
tritt auf und blickt sich um

ANH, DIADORIM, PARALLALIE u.a.
sitzen schreibend unter den Bäumen und sind in
stillen Gesprächen miteinander versunken.

Condor
Zieht sich eine Kutte über und Sandalen an die Füße,
holt ein Megafon aus seinem Rucksack und brüllt hinein:

„Alle mal herhören. Ab heute ist hier Schluss mit lustig. Die Menschheit
hat lange genug in der Bedeutungslosigkeit gelebt. Dagegen hab ich jetzt
ein Rezept. Die ultimative Formel für…
Es geht um …. äh…… (Faltet ein Blatt auseinander)

ANH
blickt genervt von seinen Bamberger Elegien auf

„Wer stört uns hier in der Kontemplation?“

Condor
„Ich hab genau verstanden, was Sie gefragt haben, aber es ist nicht von Belang. Sowieso kann man, wenn man genau hinschaut, erkennen, dass bereits früher nichts von Belang war. Genaugenommen ist die ganze Evolution bis hierher ein einziger belangloser Vorgang. Ein belangloser Irrtum sozusagen. Sie alle und Ihre Dichtungen inbegriffen.

Diadorim:
„Aber mein Arm schmerzt, und ich spüre mein Herz klopfen. Was ist damit?“

Condor:
Thermodynamik. Nichts als Thermodynamik. Da ist ein kleiner Gärungsprozess im Gang. Mehr nicht. Das Herz. Hahaha. 5,7 Hertz. Mehr ist das nicht. Da müssen Sie nicht so ein Geschrei machen.

Diadorim: schweigt betreten.

Parallalie: rezitiert leise
„Wald
in dem
ich ging
für mich
so hin…“

Condor
tippt sich an den Kopf
„Da haben wirs. Die totale Verirrung des Menschen.
Wem soll man jetzt den Vorwurf machen? Der Physik? Oder vielleicht einer Bande von Halbaffen, die da die Revolution ausgerufen haben?“

Parallalie
schüchtern:
Goethe. Sein Name war Goethe.

Condor
„Wollen Sie mich belehren? Ich habe Goethe studiert. Ich habe ihn analysiert, infiltriert, destilliert und spontifiziert. Mit einem einzigen Ergebnis: Der Belanglosigkeit.“

Parallalie
„Oh.“

Condor
„Goethe war ein Schwachkopf. Wie Newton Joyce auch. Überschätzt. Alle miteinander. Haben alle nicht begriffen, dass die physikalischen Erkenntnisbewegungen nun einfach mal eine ganze Ecke vorgerückt sind. Und was da passiert ist. Und wie es passiert ist. Und warum es passiert ist. Nichts haben die begriffen. Überhaupt nichts. Das gehört aufgearbeitet. Und eingeordnet in eine neue Welt – und… ähm….
schaut auf seinen Zettel
…prozessbegleitende Gesamtverständigung. Aber dafür bin ich ja jetzt da.“
(will Parallalie seinen Goetheband entreißen.)
„So, und das geben wir jetzt mal dem guten Onkel. Her damit!“

Parallalie

klammert sich an sein Heft
„Halten Sie ein, das ist doch Dichtung.“

Condor
„Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Minzgeschmack. Nichts als Minzgeschmack. Geklagte Ausscheidungen. Tschüss Goethe und Danke.“

Parallalie
Gibt ihm traurig das Heft.

Diadorim leise zu ANH:
„Nun unternehmen Sie doch etwas.“

Condor:
„Das hab ich genau gehört! Aber wahrlich, ich sage Ihnen:
Wer dynamisiert, und sagt: „Ich unternehme.“ – der partizipiert, und prosperiert, in dem er seinen Ort in einer Strömung behauptet, der jederzeit von jemanden Anderen eingenommen werden könnte. Dieser Ort aber ist ein Futterort!“

ANH:
„Ich hab Hunger. Könnten Sie sich ein wenig beeilen mit Ihrer Verkündigung?“

Condor:
„Also hören Sie mal, solange Sie sich von dieser Mechanik nicht emanzipieren können, werden Sie nicht erwachsen.“

ANH:
dessen Magen mittlerweile hörbar knurrt
„Natürlich. Verzeihung. Fahren Sie fort.“

Condor
„Ich verfolge die Kunst, so zu sprechen, dass niemand was damit anfangen kann. Das ist aber genau die Kunst. Genau so zu reden, dass niemand etwas damit anfangen kann. Das selbst noch ein Missverständnis ausgeschlossen ist.“

Diadorim:
„Sie meinen, man muss nicht nur nichts zu sagen haben, sondern auch sehr unfähig sein, dieses auszudrücken?“

Condor
Keine Frage. Darum geht es nicht. Ebensowenig wie um alles Andere.
(zieht eine kleine Figur aus dem Rucksack und spuckt drauf, reibt dann
mit dem Taschentuch daran herum.)

ANH:
„Aber, das ist ja ein… Nobelpreis. Wann haben Sie den denn bekommen?“

Condor:
„Wissen Sie, Vergangenheit oder Zukunft, das spielt unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten eigentlich keine Rolle. Ich hab ihn schon, oder ich hab ihn nicht. Popper und Weizäcker haben sich immer aus der Affäre gezogen. Und Mandelstam hatte einfach Pech, dass er Jude war. Ich hingegen könnte Ihnen den Weg in die nächste Reflexionsmenge aufzeigen.“

Diodorim:
„Igel retten wäre mir persönlich jetzt wichtiger.“

ANH:
„Ich hab Hunger.“

Parallalie:
quengelt
„Ich will mein Buch zurück.“

Condor:
Stellt den Nobelpreis, ein kleines goldenes Kalb, in die Mitte, und
tanzt drum herum. Singt:

„Ach wie gut dass niemand weiß, dass ich …..“
Unterbricht und schaut fragend zu ANH, der mittlerweile an einem Grashalm
kaut.

„Ahm… Wie war nochmal mein Name?“

Ende des 1. Aktes

14 thoughts on “Die große Verkündung

  1. Aber… … irgendwie seltsam ist es schon, dass hier niemand bemerkt, dass Herta Müller den Literaturnobelpreis erhalten hat, eine Dichterin. Oder habe ich nur zu viele Dschungelkommentarpfade vermieden und deshalb die Erwähnung übersehen?

    1. @Terpsichore das könnte sie vielleicht korrigieren: Newton hatte ich nicht als belanglos bezeichnet, ich hatte ihn lediglich verglichen, aber ansonsten ….schon gut wiedergegeben. 😉

  2. sind die rollen schon vergeben? ich will mehr text. ich sehs doch genau. keine hauptrolle. d h ich will eigentlich nicht mehr text, aber die hauptrolle, oder ich spiel anh. und was ist jetzt mit den igeln?

    1. Nicht mehr Text, aber die Hauptrolle? Das wird etwas schwierig, ich schau aber mal, was sich machen lässt. Wir sind ja erst im ersten Akt, und die Hauptcharaktere sind etabliert, aber alle Entwicklung noch offen. Die Igel sind fester Bestandteil des tragischen Momentes, welches jedoch erst später kulminiert. Ich hab auch ganz bewusst Ihren Arm mit eingeführt. Der wird noch wichtig im Verlauf der Handlung, des Gipses wegen. Mehr kann ich leider noch nicht verraten.

    2. dem igel wäre doch aber herr condor adäquat, der zu retten ist. sonst läuft der nicht mehr zu rettende meister lampe sich um die wette zu tode, wenn sich der jetzt nicht auch noch einigelt wie ich. ich glaube, das zentrale thema sei der igel. und die stoppuhr. „quengeln“ gefällt mir! schön, frau terpsichore! lassen sie uns nicht lange auf den 2. akt warten. wir singen indes: „va pensiero!“

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