Vierter Tag vor den Iden. Dies nefastus publicus. Augustinalia.
… den Áugust zu feiern, wen sonst. Nennen wir’s doch einfach eine Spiegelaffäre, was da gestern vormittag abgelaufen ist, bevor ich beschloß, mit dem nach Tuscania zu fahren, was ich am Leibe hatte. Und vieles hatte ich am Leibe und wieder vom Leibe davor. Meine Unsicherheiten, was die Gesellschaft Unbekannter betrifft. Es legte alles rascher, als ich fürchtete. Bei derselben Gelegenheit vor einem Jahr war ich nur verdattert und irgendwie link. Möglicherweise eine Frage der Thermik. Oder Zusammengewürfeltheit der fast allesamt Heimatlosen (zwei Flüchtlinge darunter: eine, die einst aus Libyen, und einer der einst aus Jugoslawien hatte flüchten müssen, nun aber wieder in der Heimatstadt Zara (ich sag’s mal so für Zadar) wohnt: Italo heißend, nicht umsonst (beeindruckende eins neunzig mit langen weißen Haaren, breiter zur Oberlippe sich hinabbiegender Nase und fast achtzig Jahren Leben hinter sich, hieß es, als er fort war). Das Wichtigste dann eben doch S.’s Blick am Ende zum Abschied, nachdem wir dann endlich noch ein paar hundert Meter unter uns sein konnten. Den ich dann fast wiederfand auf dem einen Foto, das von ihr auf dem Soratte mit ihrer Kamera aufgenommen. Da rührte Rührung sich dann noch gestern abend einen warmen Brei zurecht, nach der – im Vergleich zu sonst – doppelt so langen Fahrt, weil sich auf der Schnellstraße vor der Abfahrt zur Autobahn viele Kilometer vorher wegen der Ausflügler ein Stau gebildet hatte. Der im folgenden Absatz aus >>> der Zeit vom 8.10. Genannte war auch da (er und seine Frau haben eine kleine Nebenwohnung in Tuscania, leben aber sonst in Rom): Das ist schick in Neapel: selbstironisches Spiel mit den Klischees. / Auch Canio Loguercio beherrscht dieses Spiel. Der Poet und Liedermacher hockt an der Piazza dei Martiri in dem Keller einer Buchhandlung, jawohl, und stellt seine neuen Songs vor. Er trägt heute total black und Sonnenbrille, von seinem hageren Gesicht sieht man nur den breiten, dünnlippigen Mund. »Geflüsterte Lieder« heißt die Veranstaltung, aber es wird dann doch ziemlich laut. Loguercio hat kleine Rasseln im Publikum verteilt. Das Publikum, Graue und Junge, Kinder und Hunde, stapelt sich die Treppe hoch. Alle rasseln, die Hunde kläffen, und Loguercio scheppert dazu mit seiner Metallstimme auf Neapolitanisch. Er übersetzt: Es geht um Essen und Sex, die großen Menschheitsthemen. Sex und Essen, vielleicht kennt keine andere Sprache so viele Wörter dafür. Er singt sie daher, dunkel und sinnlich. »Neapolitanisch ist die Sprache der Leidenschaft«, ruft der Sänger. Das wird schon stimmen. Nach der Vorstellung geben seine Zuhörer die Rasseln ab und ziehen zum Aperitif auf die Piazza. Er schriebe neapolitanische Liebesgedichte und trage sie vor, sagte er mir. Er sagte es so im Nebenher, daß ich lachen mußte. Und erwähnte dann diesen Zeit-Artikel. Ich bot mich an, es ihm zu übersetzen. Was ich dann heute auch tat. Allerdings er dann per E-Mail: Er habe das Gefühl, mein Landsmann habe einige Sachen einfach dazu erfunden: sie seien in einem Untergeschoss der Buchhandlung Feltrinelli gewesen (nicht in einem Keller), und es komme ihm nicht so vor, daß da Hunde gewesen seien… er habe Schachteln mit Lakritz verteilt, mit der Aufschrift PASSIONE (keine Rasseln), die dann niemand zurückgegeben habe, denn sie seien einfach ein Geschenk für das Publikum gewesen.
Canio Loguercio esibizione libreria Feltrinelli Napoli
Nun gern den Text vor mir haben. Aber er will mir Buch und CD schicken. Heut’ morgen der erste Nebel. Der Sommer muß wohl gestern noch mal eine Ausnahme gemacht haben. Heute nachmittag heftiges Gewitter und reihenweise Stromausfälle. „Ich komm’ G.L.eich“ „Finster war’s, der Berg dann helle…“ „Nach dem Regen für und für.“ „AbendG.L.anz erfüllt die Ferne.“ „Stillet, was der Tag dir nahm.“ „Den Schlaf, den Schlaf, den Schlaf…“