Kitschig und doch wahr. 23.12. 2009. Paul Reichenbach findet auf montgelas‘ Schreibtisch eine alte Anekdote.

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Weihnachten in Prag – eine Anekdote.

In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sitzt ein Jungrevolutionär bei einem Altrevolutionär in einer gutbürgerlichen Wohnung in Prag. Gefängnisjahre liegen hinter und vor ihnen. Es ist Heiligabend. Auf dem Tisch des Wohnzimmers Schriften von Marx, Büchner und Trotzki. Bei einem Zipfel Leberwurst und einem Krug Bier analysieren Alt- und Jungrevolutionär hoffnungsvoll den Zustand der Welt. Der Raum gleicht der „guten Stube“ eines kakanischen Beamten. Abseits hat die Frau des Prager Altrevolutionärs eine Kerze auf einem kleinen Tisch angezündet, deren Licht immer dann unruhig zu flackern anfängt, wenn einer der Beiden erregt vom Diskussionsthema, um den Tisch zu laufen beginnt. Das Gespräch, das sie miteinander führen, die Frau sitzt schwanger, schweigend und strickend in der Ecke, dreht sich vor allem um Trotzkis „Permanente Revolution“. Aber auch das „Bürgerliche“ bei Büchner wird eingehend abgehandelt. Die Novelle Lenz dient dabei als Vorlage. Nachdem der Krug Bier, ungefähr drei Liter, leer getrunken ist, singt man die bekannten Lieder, die Revolutionären so zu Herzen gehen. Also: Bandiera Rossa, die Internationale, die Carmagnole usw. …

Ein Jahr später:
Das Kind des Altrevolutionärs liegt fröhlich strampelnd in seinem Himmelbett. Es ist wieder Heiligabend. Rund um den gutbürgerlichen großen Tisch sitzt eine festlich gekleidete Gesellschaft. Vierarmige Leuchter spenden einer Tafel hellen Kerzenschein, die mit allen Köstlichkeiten gedeckt ist, die man sich vorstellen kann. Man isst genießerisch, trinkt mäßig, bestaunt das Kind. Kurz bevor die Tafel aufgehoben wird, singen die Gäste „Stille Nacht“. In Tschechisch, Französisch, Deutsch, Rumänisch, Polnisch, Russisch und Ungarisch.
Das Kind in seinem Bett jauchzt.

Bildquelle >>>>>Josef Lada, Vanoce.

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