innerhalb von vier stunden….

…. liegen jetzt schon 20 cm schnee draußen nicht nur auf meinem tisch. der ostwind lädt so dichte schneemassen ab, daß ich kaum das haus gegenüber sehen kann. in diesem sonst allein vor sich hin stehenden haus brennt heute abend licht hinter dem einen fenster links unten im erdgeschoß. er ist da heute, sicherlich wird er wieder übernachten. ab und zu schaut er ja nach dem rechten. vermieten wollte er das haus in diesem zustand, viele hielten an, schrieben sich die telefonnummer auf, die er draußen groß auf ein plakat geschrieben hatte. aber bis heute ist eine stille auf dem grundstück. die natur holt sich jahr für jahr den boden zurück, ist inzwischen auch an den mauern des hauses angekommen. efeu braucht immer einen wirt. uneigentlich wäre es ein schönes hexenhäuschen…. das grundstück inzwischen verwunschen verwildert… hohe farne im sommer, noch viel größere rhododendren, so hohe sah ich bis jetzt nur in irland. der efeu durchzieht den ganzen boden, dazwischen die bemoost knorrigen wurzeln der alten großen bäume. die mirabellen schmecken köstlich. mundraub?…. nee… selbst geklaut, erntet ja niemand, fällt alles unbeachtet auf den boden. eine alte glasveranda mit bunten glasscheiben, geschnitztes holz in den rahmen verwittert, der lack splittert ab, reste davon fand ich auf grashalmen liegend. wenn das haus sein elternhaus war, warum kümmert er sich dann nicht. oft fragte ich mich das. als ich ihn dann das erste mal sah, war mir klar, wieso das haus so aussieht. das haus sieht so aus wie er… man könnte es auch umgekehrt sagen, er wirkt so wie das haus aussieht. einsam, ein krummer rücken, schlurfender gang, sehr ungepflegt, aber im grunde verlassen, vom leben verlassen. es ist schade. schade um diese mauern, die einmal ein elternhaus waren, und es ist traurig…. diese mauern nicht zu wollen. solche mauern müßte man doch lieben, aber wenn man die erinnerungen nicht lieben kann, kann man auch die mauern nicht lieben. warum reißt er es nicht einfach ab, dieses haus…. baut ein neues auf dem alten grundstück. es verkommt jahr um jahr mehr, am ende wird einem neuen käufer nichts anderes übrig bleiben, als das haus dann tatsächlich abreißen zu lassen. naja… vielleicht ist er ja dann glücklicher, mit dem geld, was er dann hat. aber irgendwie bezweifele ich das. ich liebe altes mauerwerk. warum? weil alte mauern immer informationen in sich tragen, z.b. von dem leben, welches in ihnen stattfand. jede materie schwingt, die frequenzen der unterschiedlichen materien begegnen sich, tauschen sich aus, die eine übernimmt informationen der anderen. es gibt häuser, da weiß ich schon, wenn ich sie von weitem sehe, daß ich sie nur mit eingezogenem kopf betreten kann… wenn überhaupt. drüben das haus ist einerseits von dieser verlassenheit umgeben, andererseits aber geht von diesen mauern eine tiefe ruhe aus, so wie die tiefe ruhe einer gewissheit, daß richtige getan zu haben. es ist eine versöhnliche ruhe, weshalb ich dann doch immer wieder gern hinüber sehe.
weshalb ich den eindruck einer versöhnlichen ruhe habe? im sommer sah ich in der abenddämmerung mehrere male eine sehr alte frau auf dem grundstück. sie trug eine blaue kittelschürze, mit kleinen blümchen drauf, und ein hellblaues dünnes kopftuch. immer wenn wir uns sahen, lächelte sie, hob die hand, winkte. ich fragte die nachbarn… erntete nur kopfschütteln. niemand kennt sie. bis auf meinen alten nachbarn theo. „blaues kopftuch?, ja… so eins trug irene immer.“ „irene?“ „ja, die mutter von diesem schiefgeratenen, aber die ist doch schon tot. sie würde sich im grabe umdrehen, wenn sie wüßte, daß ihr sohn das haus so verkommen läßt.“ „och, den eindruck hab ich nicht, sie sieht ganz fröhlich aus, wenn ich ihr begegne.“ „wie, bist du auch so eine?“ „was für eine?“ „naja… s o eine, ich hatte mal’ne freundin, die hatte sowas auch immer.“ „achja?, na dann kennst du dich doch damit aus.“ „ja, es ist nicht schlimm, es ist halt da.“ „ja.“