„Nur” fünf Tage, dachte ich gerade, seit dem letzten Eintrag. Was schon etwas aussagt über mein Aufgehobensein. Aber der Blick geht zu sehr ins Inwendige, ohne etwas an etwas Auswendigem festmachen zu können. Dort, im Innen, aber wohnen die Spiralen. Doch, ein Auswendiges wäre schon da, ein zur Resignation neigendes Land, da es unmöglich scheint, nicht geschehen zu lassen, was geschieht. Als neuestes Einschränkung der Pressefreiheit (man darf nicht mehr sagen, daß jemand der Korruption verdächtigt ist, erst dann, wenn es feststeht: kann Jahre dauern) und der Fahndungsbefugnisse, heißt: das Abhören wird drastisch eingeschränkt. Nicht, um die Privacy schlechthin, sondern die delinquente Privacy des Einen und Seinesgleichen zu schützen. Initiativen sind schon angekündigt, dann eben im Ausland übers Internet das zu verbreiten, was die Zeitungen hier nicht mehr verbreiten dürfen. Aber das Ganze muß ja nach der heutigen Senatsabstimmung noch durchs Parlament. Benjamin über den Dreigroschenroman wie modellhaft fürs Hiesige: Das Verhältnis zwischen bürgerlicher Rechtsordnung und Verbrechen wird in diesem Kriminalroman sachgemäß dargestellt. Das letztere erweist sich als Sonderfall der Ausbeutung, die von der ersteren sanktioniert wird. Nämlich hier beispielswise im Nachhinein durch Verkürzung von Verjährungsfristen mit – natürlich – rückwirkender Rechtsgültigkeit. Also diese e i n e Aufregung zuweilen, die eine Konfrontation mit der Arroganz. – Heute erstmals eine merkliche Besserung: ein leichter Schmerz nur am frühen Morgen, sonst nichts, auch der Rücken nicht, dem die Vorsichts-Haltungen mitgespielt haben werden. Das alles bei halbierter Medikation. Gestern erstmals wieder in etwas zahlreicherer Gesellschaft seit drei Wochen. M.L. will Amelia verlassen, die Kinder werden mit dem Vater nach Neapel zurückgehen. Darum so eine Art Abschiedsabend. Das Weintrinken brachte sie dann noch zum Sprechen über die ganzen Verhältnisse, auch darüber, daß sie nicht wirklich sicher sei, wieder nach Holland zurückgehen zu wollen. Wir saßen nur noch zu Dritt: drei Trennungsgeschichten kamen da zu Wort. Oben genau überm Hof der große Wagen, die unerwartete Position des Polarsterns, ich hätte den Norden nach Gefühl woanders vermutet. MM wird auch für einige Zeit in die Kaiserstuhl-Heimat zurückgehen, dem Vater gehe es nicht gut, und die Kirschernte stehe an: offiziell gehöre ihm, dem Einzelkind, der Hof dort schon, und er müsse sich ein bißchen drum kümmern. Ob es mir leid tut, kann ich nicht wirklich behaupten, eher ein Schade wegen der dann fehlenden kleinen Abwechslung. Die dreizehn Jahre Altersunterschied machen sich schon bemerkbar, zumal übers Allgemeine hinaus keine Gemeinsamkeiten da sind. So das nötige Minimalverständnis und Sich-dennoch-Erkennen. Hübscher Gedanke, den ich das gestern hatte, als von Zukunft die Rede war: von meinen Büchern, die hier stehen, habe ich etwas mehr als Tausend noch n i c h t gelesen. Eine bessere Zukunft läßt sich kaum denken, weil sie eine Gewißheit ist.
Ungelesenes zeugt von Lebenstüchtigkeit.
Das Wort Tüchtigkeit schmecken. Tauglichkeit? Berechtigung? Freipaß? Und Gelesenes? „Zeugt von“ : lieber ohne Präposition. Oder umgekehrt. Lebenstüchtigkeit zeugt Ungelesenes. Der Libido-Griff. Das Blättern. Du bist auch noch irgendwann dran. Und zurückstellen.