Immer noch gelb der Ginster am Straßenrand. Wie vor zwei Jahren fuhr ich gestern die Orvietana hoch über dem Tibertal entlang, allerdings diesmal nur ein Stück bis zur Abzweigung bergab nach Alviano, wo dann nach dem Ort, dessen Kern eine huckelige Pflasterstraße, die an einem Kastell vorbei- und um den zentralen Platz herumführt, die ersten Calanchi sich in die Hänge hineinschneiden (Badlands? so die deutsche wikipedia zum entsprechenden ital. wikipedia-Artikel über „calanco“ (ja, Furchen sind’s, wie Sansoni übersetzt, aber eben keine Ackerfurchen)), klingenartige Einschnitte durch Erosion, auf denen nichts wächst, nicht mal Ginster (Hier auf dem kahlen Rücken / des unheilvollen Berges, / des schrecklichen Vesuv, / den sonst kein Baum und keine Blumen schmücken, / hier breitest du dich aus, einsamer Ginster, / und deinen Duft verströmst du, / des öden Lands zufrieden. – Leopardi, Der Ginster). Und wenn ich vorgestern schrieb, der Ort der Verabredung sei einer gewesen, an dem ich noch nie gewesen, dann stimmt das so auch wieder nicht. Denn dort in Civitella d’Agliano bin ich vor Jahren mit O. gewesen, den Bruder einer tatsächlich „plötzlich und unerwartet“ (eine schnelle Angelegenheit war das, aber kein Unfall) gestorbenen noch recht jungen Kollegin von ihr zu besuchen. Während ich hinter einem straßenbreiten Mähdrescher mich langsam dem Ortseingang näherte, erkannte ich manches wieder und bimmelte das Mobiltelefon: Sie sei einen Kilometer vor Viterbo und wolle vorschlagen, daß wir uns direkt in S. Michele und nicht in Civitella treffen. So war das Noch-nicht-dort-gewesen-sein wiederhergestellt, denn S. Michele liegt zwei Kilometer weiter. Wie kann man das nennen, was dort läuft: Wiederbelebung alter Bausubstanz. Mit alter Bausubstanz ist zu wenig gesagt. Jeder Ort hat sein Schlößchen, sein Kastell, sein Renaissance- oder Ba- bzw. Rokokoschmuckstück. Und Romanik en masse. Schweizer Künstler stellten dort in einem Marstall aus. Spoerri und Wiedmer und andere. War mir aber zu konzeptuell. Und in einem Fall mochte ich ungern hinsehen: Scheiße erst abwärts, danm rück- und somit aufwärts in zumeist Kuhärsche. Zum Auftakt dasselbe mit sehr menschlichen Hinterbacken. Als Sitzplätze vor der Projektionsfläche (Stallwand) Kloschüsseln. Obwohl… Kuhfladen… das Heimkehren der Kühe von der Weide auf dem Dorf mit dem Cousin und was Kühe dabei so tun, Beckett, auch (und bei Böll, ja bei Böll in ‚Gruppenbild mit Dame’, die Diagnose aufgrund des Stuhls (ein Buch, das ich las, als bei uns zu Besuch waren die Geschwister meiner Mutter aus der DDR, um bei deren Beerdigung dabeizusein, das weiß ich merkwürdig genau)). Scheißthema. Im Programm hatte sie auch noch ein Theaterstück in Viterbo. Allerdings war sie etwas unsicher. So daß es leicht war, dies zu unseren Gunsten zu vermeiden, denn ihr Vorschlag, nach Bagnoregio weiterzufahren, erwies sich als ein glücklicher Vorschlag.
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Noch mehr Calanchi. In der Sonnenuntergangsstunde nurmehr wenig Touristen. Das Restaurant lag gleich gegenüber. Bis halb zwölf saßen wir dort, dann trennte uns die Nacht. Wie vor genau zwei Jahren, als wir uns kennenlernten. Sterne immer, und wenn nicht Sterne, üppiges Grün, sospensione di ogni cosa. Questione di fiducia. E i tuoi calanchi. Die Gegend paßt zu uns: Wiederbelebung alter Bausubstanz. Klingt mir aber doch zu artifiziell. Ich bin doch keine Bausubstanz. Und sie schon gar nicht. Die Erotik der Nähe. Und Gruppenbild mit Dame. Zumal mir gegenüber einem schalenförmigen Basaltportal mit dem steinernen Porträt des Apostels Paulus wieder die >>> Hausnummer 129 in Bagnoregio begegnete. Remixing the World and Fotographing the Universe (the whole Universe (auch wenn ich nicht verstehe, wie das gehen kann, das ganze Universum als Ei zu fotografieren)).