Das Wenige ist mir genug. Salvatore Sciarrinos Luci mie traditrici an der Oper Frankfurt am Main

Unterschiedliche Inszenierungen ein und desselben Werkes sollten nicht miteinander verglichen werden, ja, sie sollten nicht einmal besucht werden, damit kein Vergleich sei. Denn, wie immer dieser Vergleich auch ausfällt, es haftet ihm etwas Ungerechtes an. Der Maßstab mißt nämlich nicht den Anspruch der Arbeit, sondern die eine an dem der jeweils anderen. Mein Vergehen besteht also darin, die Uraufführung der Oper „Luci mie traditrici“ von Salvatore Sciarrino 1998 in Schwetzingen erlebt zu haben und dennoch zu neugierig auf die Frankfurter Version gewesen zu sein. Aber ich bin noch einmal ohne Schande davongekommen. Denn beide Konzepte entziehen sich von selbst einer vergleichenden Wertung. In meiner Erinnerung hatte die Regie in Schwetzingen der äußerst mittelreduzierten Musik Sciarrinos noch eins draufgesetzt, indem sie die handelnden Personen in einem durch dunkle Rahmung verengten Bühnenraum um eine diagonale, farbige Trennwand in Kniehöhe herum nahezu statisch agieren ließ. Ihre Bewegungen waren enorm stilisiert, wie Gliederpuppen, die einem geheimnisvollen minimalistischen Ritual folgen. Selbst der Gesang wirkte auf die Vokale zurückgenommen und auf das Vogelstimmenformat verkürzt. Nur der Prolog und die Intermezzi, die einer Elegie des flämischen Komponisten Claude Le Jeune aus dem Jahr 1608 folgen, setzten diesem artifiziellen Stil die tonale Sinnlichkeit der barocken Tonalität entgegen. – In Frankfurt nun, wo man das Werk im Bockenheimer Depot, und das bedeutet auch, mit sehr eingeschränkter Bühnentechnik einrichtete, schien die Musik den Menschen zurückgegeben, Menschen, die sich (selbstverständlich nach theatralen Kriterien) natürlich bewegen und deren Mimik Sehnsucht, Angst, Trauer und Wut zeigt.
Mit drei Schlägen auf Holz beginnt die Oper. Auf der Bühne stehen drei (drehbare) hohe, schlanke, rechteckige Holzkäfige (Bühnenbild und Kostüme: Alexander Lintl). Vor dem etwas zurückgesetzten mittleren, in dem Nina Tarandek den elegischen Prolog singt, liegt eine rote Rose auf einer weiß gedeckten Tafel. Im mönchischen Kapuzenumhang tritt der Mann an die Rampe, der sich kurz darauf als der Graf Il Malaspina (Christian Miedl) kenntlich machen wird, und legt ein japanisches Schwert bereit. Auf der Bühne hat alles eine Bedeutung. Man kann sich also das Ende schon denken. Aber dieser Graf, der überdies noch ein Messer im Stiefel stecken hat, sinkt, nachdem sich La Malaspina (Nina Tarandek), wie vorgesehen, am Rosenstachel gestochen hat, angesichts des tropfenden Bluts ohnmächtig zu Boden. „Ein kleines Tröpfchen Blut hat euch fast die Seele geraubt“, berichtet sie ihrem wiedererwachten Gatten. „Mein Paradies, welch ein Unterschied zwischen Mars und Amor.“, räsoniert er. „Wer liebt, ist wagemutig.“, singt sie, „Wer liebt, hat Furcht.“, erwidert er. Der zweideutigen Symbolik, mit der die Dialoge in kreisenden Wiederholungen gesungen werden, entsprechen die musikalischen Zirkulationen, in denen die von überblasenen Flöten, am Steg gestrichenen, tremolierenden Geigen, fauchenden Bläsern und vielerlei Flageoletts erzeugten Peripherklänge rotieren. Und nachdem auch und währenddessen der Diener (Simon Bode) erbarmungswürdig geseufzt hat, weil auch er der Gräfin verfallen ist, trifft der Gast ein. Der ist ein Countertenor (Roland Schneider) und verliebt sich auf der Stelle in die Hausherrin. Nun nimmt die Tragödie ihren Lauf. Man vertröstet sich auf’s nächste Mal, trifft sich wieder, gesteht sich gegenseitig in einem betörenden Gezwitscher die leidenschaftliche Liebe. Die mit Crescendi intonierten und unregelmäßig sich überlagernden Wechselgesänge gehören zu den schönsten der Opernliteratur, deren Genuß geradezu gesteigert wird durch die Tatsache, daß sie vom eifersüchtigen Diener belauscht und – treu, wie er ist – dem Grafen verpetzt wird. Der nämlich zieht besagtes Messer aus dem Stiefel und ersticht mit dem perfiden Argument „Ich war nicht entehrt, solange du schwiegst“ den Diener. Von solchen Aporien ist kein Mangel in diesem archaischen Spiel um Liebe, Treue, Eifersucht, Verrat und Tod. Im bruchlos sich anschließenden zweiten Akt führt der ehelich Gesang über die Schuld zum neuerlichen gegenseitigen Schwur der ewigen Treue mit dem Wissen der vergangenen wie der zukünftigen Schuld.
Die mehrstimmige Basis der anfangs unbegleitet gesungenen Elegie Le Jeunes, die in der Funktion von Intermezzi erst als Bläsersatz erklang, dann von zart tremolierenden Streichern ausgeführt wurde, reduziert sich jetzt auf verletzliche, wie verletzende, hauchdünne gläserne Klänge, die vor allem von der Streichern erzeugt werden. „Mein Herr, ich sehe, wie sich euer Gesicht verändert hat, die Liebe soll sich nicht in eine Begräbnisfeier verwandeln.“ Tut sie aber. Das Finale ist ganz rituell aufbereitet. Il Malaspina hüllt sich in seinen Kimono und nötigt seine Eheliebste, sich im Bett zu spiegeln. „Ist dort ein Spiegel? – Wahrhaftiger als jedes Glas.“. Das aufgedeckte Bett enthüllt den toten und an seinen Gliedern verstümmelten Gast. Der Graf greift zum deponierten Schwert, um in einer letzten Sinnverkehrung – „Badet mich in Blut. Lebt wohl, lebt wohl, ich werde auf ewig in Qualen leben.“ – das Blutbad anzurichten. – Christian Pade hat das kurze, konzentrierte Werk unaufwendig und schlüssig inszeniert, Erik Nielsens souveränes und feinfühliges Dirigat hielt nicht nur die komplizierten Abläufe zusammen, sondern balancierte im akustisch nicht unproblematischen Depot die fragilen vokalen und instrumentalen Klangwelten optimal aus.
Das Artifizielle und das Archaische, das Sinnliche und das Abstrahierende, das Tierische und das Menschliche sind in dieser Inszenierung in eine Spannung getreten, die des Prätentiösen entbehrt. Der literarische vermittelte Bezug auf Don Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, der seine Frau samt Liebhaber (wahrscheinlich) ermorden ließ, um schließlich als selbstquälerischer, manieristischer Komponist die exaltiertesten Madrigale der Spätrenaissance zu verfassen (und, nebenbei, Leonora d’Este zu heiraten) muß gar nicht ins Bewußtsein treten. Mit der geschichtslosen Handlung assoziiert jeder Zuschauer die Grundkonstellationen einer Paarbeziehung, Salvatore Sciarrinos Oper bietet dazu eine radikale moderne Ästhetik, die in der Tradition wurzelt. Das sollte man gesehen, und vor allem, gehört haben.

LUCI MIE TRADITRICI (DIE TÖDLICHE BLUME)
Oper in zwei Akten von Salvatore Sciarrino
Text vom Komponisten nach Il tradimento per l’onore von Giacinto Andrea Cicognini (1664),
mit einer Elegie von Claude Le Jeune (1608)
Uraufführung bei den Schwetzinger Festspielen 1998
Koproduktion mit dem Cantiere Internazionale d´Arte di Montepulciano
Musikalische Leitung Erik Nielsen.
Regie Christian Pade.
Bühnenbild und Kostüme Alexander Lintl.
Dramaturgie Agnes Eggers.

La Malaspina – Nina Tarandek. L’Ospite – Roland Schneider. Un Servo – Simon Bode.
il Malaspina – Christian Miedl
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Weitere Termine:
18.05.2011 |19.05.2011 | 21.05.2011 |22.05.2011

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