SENTENCES. Die fünf Sinne:

Die Maler verkaufen ihre Haut, Modelle vermieten die ihre, die Welt gibt ihre Häute her, ich habe die meinige nicht gerettet, da ist sie. Abgezogen, imprimiert, triefend von Sinn, oft Schweißtuch, zuweilen glücklich.

>>>Michel Serres.

13 thoughts on “SENTENCES. Die fünf Sinne:

  1. die zeit des pergaments ist,… … so gesehen, nicht vorbei. wer schreibt, bedruckt seine haut, ein starkes bild. bei manchen wird die haut vielleicht nur zum luftbalg einer sackpfeife. frei assoziiert dazu drei zeilen von joanna newsom:

    scrape your knee – it’s only skin
    makes the sound of – violins.

    ein kratzen auf der haut wie das abschaben der pergaments, das zum palimpsest werden soll. und wenn es dann klingt wurde dichtung auf das „fell“ gebrachr.

    1. Wer schreibt, bedruckt seine Haut … Ja, und das nur zeitweilig. Deshalb würde ich mich niemals tätowieren lassen. Der jeweilige „Druck“ ist für denjenigen zu so einer Art allgemeingültigen Aussage an Welt geworden. Ein angehaltenes Bild das fixiert wurde. Egal ob auf der Haut mittlerweile ganz andere Bilder laufen. Was sicher so ist. Seelische sind es immer. Egal ob es angehaltene sind oder ob es solche sind die weiterlaufen dürfen. Und so kommunizieren diese neuen weiterlaufenden, dann doch mit diesen gebannten, angehaltenen. Entwickeln sich an diesen. Sie gefallen mir an anderen. Ein jahrelanger Freund von mir, dem stehen sie von den Füßen bis zum Hals.

      Ein Kapitel der fünf Sinne heißt: Tätowierung. Serres benennt sie als Banner. Ähnlich dem eines Werbedrucks. Die Haut oder das Bild dient dafür. Aber eben nicht nur. Das kann man negativ lesen aber auch positiv. Werben um. Werben für:

      Sich

      Muss auch sofort an meine Erfahrungen mit manchen Jugendlichen denken, mit denen ich gearbeitet habe. An Borderlinestörungen. An die damit manchmal einhergehende Symptomatik des Dranges sich zu ritzen. Und ich spreche nicht von zwei drei Schnitten oder Ritzungen. Ich habe da Körper gesehen, die auf großen weiten Flächen nichts anderes als Schnitt- an Schnitt-, als Ritzungs- an Ritzungsmuster hergeben. So dermaßen konsequent, so dicht an dicht gesetzt, dass das, und das ist das Perverse, geradezu durchverziert aussah. So, dass diese eigentliche Körperanseeleanpassung oder- modifikation, betrachtet man es nur unter einem ästhetischem Gesichtspunkt -der Selbstverletzungsaspekt sei hier in gewisser Weise ausgeklammert- schon wieder an einer Ästhetik gewinnt, durch eben diese Massierung und Anhäufung der Schnitte, so als wären das natürliche „Zeichnungen“ oder Gewebsnarben. Als wäre es eine Beschaffenheit der Haut und des Gewebes, die es tatsächlich so geben könnte. Was die Natur so hervorbringt. Denke an Baumrinde, Schuppen etc.

      Desweiteren sollte man sich auch klar machen, dass jene, die dieses Verlangen haben und sich auf diese Weise ja auch mächtig äußern, es auch als „schöne Verzierung“ betrachten. (Aber was ist schon „schön“?) Das wiederum äußert jemand, der dies aus einem ganz anderm Gesundheitszustand betrachtet. Auch hier könnte ich schon wieder fragen: Was ist Gesundheit? Diesen absoluten Zustand. Den gibt es nicht. Das kann immer nur ein Streben nach sein.

      Ich habe aber leider auch die dumme Erfahrung gemacht, dass diesen Patienten verboten wurde, sobald sie „Ausgang“ hatten, diese Narben und Zeichnungen öffentlich zu zeigen. Sie mussten sie zur Gänze verhüllen. Verbinden. Für mich schon die nächste Verletzung. Eine noch viel größere! Ich bin mir nicht sicher ob das die richtige Überlegung ist. Nicht jede Klinik / Therapeutik arbeitet mit den selben Konzepten. Manche arbeiten nur mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen (Wie hat man sich denn zu verhalten? Was solln der Scheiß?!). Andere setzen als Fundament noch die Analyse darunter. Manche erlauben diesem Drang, der mehr ein Druck ist, nachzugehen sogar, indem dem Pat. saubere Klingen dafür zur Verfügung gestellt werden, um z.B. potentiell drohende Infektionen zu vermeiden aber auch mit und unter der Prämisse, sobald diese dieses Angebot nutzen, dann auch die Verpflichtung eingehen darüber zu sprechen. Sich zu melden.

      Ansonsten fällt mir zu diesem Thema nur noch Robbie Williams und Marsyas ein. Robbie Williams ist ein Bühnenkasper. Und Marsyas … : Da müsste ich jetzt ausholen. W e i t ausholen! Bis zum Wahnsinn! Denn diese Gefahr besteht ja. Ein anderes Locked In (oder Out?). Der denkbar grausamste Zustand in den man kommen kann. Den lange auszuhalten der Mensch nicht gemacht ist. Also tätowiert er sich. Schneidet sich. Bevor ihm das passiert. Gibt nicht viele die ihre Haut tatsächlich und buchstäblich riskieren. Denn dieser Typus Marsyas erblickt nicht so oft das Licht der Welt. Halte das, für etwas in ihm angelegtes, mitgegebenes. Und das auszulösen, dafür wiederum sorgt das Leben. Das, was einem widerfährt.

      Aik, ich lese dies, und manchmal das, aber hier wollte ich wissen, wer dieses Buch geschrieben hat. Wie er aussieht. Der Michel. Serres. Weil ich wusste, egal welches Gesicht ich gleich sehen werde, es ist ein grundsympatisches. Verstehst du das?

    2. ob ritzen… … oder tätowieren (was grundsätzlich nicht so unterschiedliche vorgänge sind): es soll unter die haut gehen. ob der patient an sein inneres möchte, das außen nach innen kehren oder ob der selbst-modifikator der welt das kunstwerk auf seiner körpereigenen leinwand (oder auch nur ein nettes Farbspiel aus grün und weiß) zeigen will: immer muss etwas unter diese schicht gehen, die innen und außen, eigenes und fremdes abgrenzt.

      „to get under one’s skin“ sagen die englischen, wenn sie meinen, dass jemand oder etwas einen nerv trifft, auf die nerven geht. was im deutschen, genau besehen, das gleiche meint: denn auch die nervenbahnen verlaufen ja unter der haut oder zumindest ihren oberen schichten.

      „dünnhäutig“ sind die sensiblen, die medien, die orakelpriesterinnen und die künstler, vielleicht muss nicht jeder seine haut geradezu auf den markt tragen und sicherlich trägt nicht jeder sie so nonchalant über dem arm wie der unten abgebildete
      … mit dem paralallie uns zeigt, dass so ein marsyas manchmal auch zu einem heiligen werden kann. sodass dann die haut einer gewölbedecke mit ihm „tätowiert“ wird.

      du, read An, wolltest auch unter die haut, die bedruckte haut mit dem titel „die fünf sinne“, wolltest die nerven und verästelungen sehen, die hinter dem text liegen und ihn erst ermöglichen: den autor (der nämlich so „tot“ nicht ist, wo auch immer sein text herumgeistern mag; nur eben manchmal nicht mehr zu finden unter der haut).

      und, was hast du gefunden?

  2. Meine 94jährige … … Nachbarin bekam gestern Besuch von ihrem Enkel und dessen Freundin. Beide von Kopf bis Fuß tätowiert. Im Rückfenster ihres Autos hatten sie einen Aufkleber angebracht, der verkündete: TÄTOWIERTE VÖGELN BESSER !

    Seither überlege ich, ob ich meine 94jährige Nachbarin mal fragen soll, ob sie ebenfalls dieser Meinung ist.

    1. fragen sie, phg, ruhig,… … vorausgesetzt, ihre nachbarin hat ausreichend tätowierungen — oder wahlweise auch tätowierte –, um darüber auskunft geben zu können.

      @read An, Schweißtuch:

      dazu fällt mir ein, dass es einen unterschied gibt zwischen tätowierter und bedruckter haut, um die es serres offenbar geht. der tätowierer sticht in schreibrichtung, schreibt gewissermaßen, wie gelesen werden soll. wenn der drucker (vor zeiten des digitalen offest-drucks) in schreibrichtung die lettern setzte, bekam er: spiegelschrift. wir das schweißtuch in turin, wenn überhaupt, denn jesus nur spiegelverkehrt zeigt. da muss man dann spekulieren.
      wollte narziss, der sich selbst ja auch spiegelverkehrt sieht, sich also im druck verewigen, müsste er sich vorab spiegelverkehren, sich „rückwärts setzen“, wie es die alten drucker mit ihren lettern getan haben. er muss SPEKULIEREN.

    2. @PHG: Fragen Sie sie. Meine Oma z.B. kichert über die versautesten Witze. Aber Ihre Nachbarin wird ja nicht nebendran sitzen um ne Bewertung abzugeben. Eben. Was diese Verkündung ja auch ist, eine Selbstbewertung, die zugleich eine Abgrenzung von anderen darstellt. Narziss 2.0 in Zeiten der Selfies. Aber ich muss darüber, dass die das auf ihrem Heckfenster stehen haben, auch lächeln. Empfinde es, was zumindest das Verkünden als solches betrifft, als ne vitale Aussage. Lese das auch als ein Bedürfnis das Jawoll sagen will. Wahrscheinlich stimmt das für die Beiden einfach auch. Ist doch schön! Sind sich zumindst in ihrer Peergroup, in der sie wohl vorerst bleiben wollen, einig. Auch wenn es da noch um eine Leistungspotenz geht. Vielleicht ist auch einfach ein dringender Bedarf da, wo doch jede Menge Scans über den Einzelnen laufen (siehe allein Facebookbuttons: gefällt mir), mal eine eigene Bewertung und Einschätzung vorzunehmen.

      Vögeln ist toll.

      Aber Austausch, in welcher Form auch immer, ist wichtiger. Für mich die eigentliche Potenz. Sich fallen lassen können. Das ist leider wirklich nicht immer leicht. Habe da auch schon meine eigene, um im Bild zu bleiben, Impotenz erlebt. Zwei Menschen, zwischen denen was abgeht, das ist immer etwas arg Fragiles, was man da zu händeln hat. Als händelten Zwei ein rohes Ei hin und her. Und ich vermute mal, Sie sehen das nicht anders.

      Denn wenn gar Liebe mit im Spiel ist, dann bin ich sowieso auf einem ganz anderen Feld. Da erlebe ich mich wie ein absolut Beginner.

    3. @Aik, zum Schweißtuch: Es findet keine Über:setzung des Passionsweges in Buchstaben statt. Die Buchstaben sind sogar obsolet geworden. Das Wort. Die Schrift. Denn hier ist ja wirklich Schweiß und Blut(!) aufgenommen worden. Vom Träger Tuch. Das, sobald es auflag, gewissermaßen eine Innen- und Außenseite hat. Du kannst es wenden. Zumal das eine Direktabnahme von Körperflüssigkeiten durch Stoff ist. Ah, ob Veronika gewusst hat, was sie da tut, als sie ihm das Tuch reichte? Konkreter geht es ja wohl kaum. Junge, dass ich jetzt hier bei beiden Geschlechtern lande, das schreibe ich meinem zu. Dass genau dadurch, durch diese „Geste“, das Gesicht desjenigen im Tuch wiederzufinden ist, der seinen Passionsweg hinlegen musste. Denn erst einmal hat Jesus ja Gott darum gebeten, dass dieser Kelch doch bitte an ihm vorüber geht, oder? Dass das vielleicht wirklich für die Redewendung: Im Schweiße deines Angesichts steht, versteht nur der, der verstanden hat, warum Worte und Buchstaben das nicht vermögen. Kein Wort kann. Zitiere mich mal wieder selbst.

      Und jetzt reich´ mal einem auf der Straße dein Tuch und hoffe darauf, dass er diese Geste voll begreift, dafür wiederum brauchts das Wort. Und natürlich nicht irgendeinen.

      Ich liebe Körperflüssigkeiten. Vielleicht sollte ich weniger tippen. Oder meine rote Linusdecke nicht waschen. In der bin ich Dünnhäuter. Die hat schon alle Flüssigkeiten von mir aufgenommen.

      zu deiner obigen Frage: und, was hast du gefunden?

      -Einen Marsyaner. Seine Sprache. Und noch einen Marsyaner. Der mir das Buch schenkte.

      Jesus ist also auch ein Marsyaner. Und das der Marsyas zu einem Heiligen erklärt und in einem Deckenfresko einer Kirche aufgenommen wurde ist schon interessant. Aber ich weiß nicht ob der wirklich auf einer Wolke ankommen wollte. Wie kam das denn? (Das wusste ich nicht! Danke parallalie!) Außerdem ist sein Geschlecht bedeckt, von einem schwarzen Tuch. Schwarzer Schleier? Zu Sais? Lehrlinge? Lehrlingin? Apoll war für die ja auch schon mal der Teufel in Person, bis er wieder ganz apollinisch war. Und dann hat er ihn gehäutet. – Ich bring´ ihn um!

    4. im zusammenhang mit der schlappen haut in der sixtinischen kappelle (nicht an der decke, sondern als teil des jüngsten gerichts) finde ich immer den heiligen der schuster erwähnt, bartholomäus, und ich kam vielleicht dahin, weil ich mich an ein ledergeschäft irgendwo erinnerte, das auf einem großen schild „pelle d’autore“ anpries, aber im grunde gilt der schlaffe hautsack als selbstporträt michelangelos.

    5. Ein Selbstporträt Michelangelos: In der Formulierung bleibend: schlaffer Hautsack. -Das bin ich! Geradezu mutig. Mut zur Hässlichkeit. Schlappheit. Ich war schon mal in der Sixtinischen Kapelle. Da war ich aber noch zu uninteressiert. Ich habe auch ein Gesicht bei mir herumliegen. Das von David. Michelangelos David. Hat ihm mal ein anderer Künstler abgenommen. Und nu liegt er da so rum und guckt. Weiß gar nicht was ich mit dem machen soll. Habe schon mal überlegt ihn mir auf den Rücken zu schnallen. Was für ne Aussage das wäre, weiß ich nicht. Der ist schwer. Ich dachte nur, kommst dir dann bestimmt vor wie eine Schildkröte.

      Die Häute des Autors. Vielleicht noch Schuhe daraus machen?! Ich trag´ die meiste Zeit (: Arbeitszeit) durchlöcherte. Vollkommen kaputte in BillyBuddMarineblau. Und das betrachte ich mittlerweile gerademal mit Humor. Ansonsten am liebsten keine, wenn möglich.

    6. falsch gespeichert… … hatte ich das, @parallalie, ganz klar: jüngstes gericht im altarraum. „pelle d’autore“ — da zuckt man schon zusammen, erst recht, wenn man als autor an so einem schild vorbeigeht. „wanderer, kommst du nach sparta, / denk‘ an dein schuhwerk.“
      vor kurzem las ich wieder mal die szene, in der ein russischer soldat auf dem mond an seine stiefel klopft und anmerkt, das sei seine großmutter. worauf der amerikanische kontrahent innerlich doch anerkennend nicken muss ob solcher effizienz.
      was zum muschik passt, muss aber nicht zum dichter passen. dann doch lieber autoren-pergament. da bekäme der satz „eine parodie auf thomas bernhard“ ganz unerwartete konnotationen. mancher häutet sich vielleicht zu lebzeiten so oft, dass er zumindest einen katalog seiner bibliothek auf der eigenen haut herausgeben könnte.

      @read An: blut und schweiß sind dann eben die tinte des autors; das, was er entäußert. mancher wird das bestätigen können. und nicht nur metaphorisch: jahrhundertelang gehörten tränen und blut (einmal fand ich sogar muttermilch) auf dem brief an entfernte geliebte zum poetischen standard. es bleibt aber dabei, dass der jesus (ein „marsyaner“ — das klingt jetzt aber fast wie däniken!) im schweißtuch „verkehrt“ ist. so wie es falsch ist, im text ein abbild seines urhebers zu sehen. er ist schon präsent, daran erinnert serres, aber eben nicht so, dass er einfach zu erkennen wäre.

      solidarisch deiner schreibenden kollegenschaft gegenüber, dass du am liebsten barfuß gehst!

    7. @Aik Wieso nicht Marsyaner? Wie einer auf einem fremden Planeten, den er ja gar nicht als so fremd empfindet. Er wird vielleicht auch nur als Fremder empfunden. Von anderen. Daher: Ja, Däniken.

      Texte auf Papier, gar Briefe. Verfasse ich nur selten. Schade eigentlich. Blut, Schweiß, Tränen. Autorentinte und Tuchfühlungen.

      Oder gar Muttermilch!?

      Und wie hast du die als solche identifiziert? Hast du den Brief ins Labor geschickt?

      Was? So Briefe bekommst du? Was verheimlichst du mir? Lach.

      Toll, Aik! Sei bitte sacht! The last Brief Joseph. Da kann ich Lupa gerade einmal durch ihren imaginierten Wald schicken. Der allerdings sehr nah am Wald ist. Und ich muss und kann nur sie schicken. Nicht mich! Sonst hält man mich noch für vermessen. Oder gar für eine Göttin.

      Ihr Körper hat nur einmal Milch abgesondert. Kleine Mengen. Kurze Zeit. Trink!! Und zwar als Mann. Oder auch als Frau! Sag´ schon, was fehlt dir?! Mach´ den Mund auf! Wenn nicht, dann kommt die trotzdem und erst recht, vielleicht noch von, ganz sukzessive Wirklichkeit, allein.

      -Ich will das natürlich als allg. Bild verstanden wissen! Was sonst! Der Rest ist meine Milch!

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