also den Dichter ehren, den ich lese, wenn ich >>>> „Chronos krumlov“ lese, was ich heute fast den ganzen Tag über tat,
denn so ehren wir Dichter am meisten, sogar vielleicht nur, wenn wir, die anderen Dichter, sie in dem ehren, worin sie eigentlich sind, in ihren Themen und Formen, nicht aber in ihren Funktionen, die wie ihr Leib hinwegsinken werden; jene aber bleiben, wie Chronos krumlov bleibt, die Zeit des Städtchen Český Krumlov, Krumau zu deutsch, oder Krummau, nämlich „krumme Au“, erbildet auf einem in einer Moldauschlinge gelegenen und vormals mithin, wie wir dem Namen anhören können, periodisch überfluteten Flecken in Böhmen. Diesem hat Harry Oberländer seinen nach dem Städtchen benannten neuen Gedichtband gewidmet,
einem, entnehmen wir dem Buch, Zeitloch des Stillstands, das uns in die Vergangenheit saugt, die Kontinuität zu sein scheint, auch wenn sich die Stadt dagegen auflehnen möchte: Wie hilflos wirkt doch gegenüber Oberländers Poesie der Titel, den sie 2013 einer Landesausstellung gab: „Hopfen, Salz und Cyberspace“.
Dagegen spricht der Dichter ein:
in stummen straßen leere stunden
die stadt, die narben, winkel, wunden
laut leben in den tag die armen leute
der dieb, der tod, holt sich die beute
lackiertes wasser glatt wie harz
Doch ein anderes Gedicht Harry Oberländers möchte mein Festgruß ehren, und zwar so, wie ein Komponist Kollegen ehrt – vermittels eigener Variationen auf eines seiner, Oberländers, Themen, und es lautet:
Thema
wir sahen ein gesicht im stein,
ein kindergesicht. in der dämmerung
reduzierte das licht seine konturen.
es alterte mit dem abend schwand es
wir sahen es beide mit eigenen augen
und sprachen und sahen und waren selbst
das junge, das alte gesicht, das vergehen
jenseits der strömung im moldaugeklipp
Variation 1
Wir sahen am Ufer ein Stück Stein
Es ließ es das Halblicht vage ein Kind
und uns die alten Eltern sein
die unter der Strömung, die da lind
über die Klippe flutete,
in ihm erkannten, was sie sind.
Da blutete der Abend auf uns nieder
und wieder, in einer linden Schnelle,
nahm‘s uns im Dämmern fort,
und sich aus Welle, Zeit und Ort.
Variation 2
Im Moldaugeklipp
unter den Strudeln
darinnen Fischlein trudeln
kurz ein Gesicht
im Wurzelgelipp
Aus Stein und Wasser und Zeit
schaut eine fernste Vergangenheit
Erst ein Gesicht, schon ein Geripp‘ –
Liebste, du erkennst uns nicht?
Variation 3
Die Dämmerung, am Flußrain, fiel
Kaum ein Hauch war in den Wipfeln
Auf den Gipfeln letztes Licht
Drunter stieg kühl ein Dunst an das Ufer
Drunter verschwamm ein Gespenstergesicht
Warte nur, Geliebte, balde
waren auch wir beide nicht
Variation 4
wir sahen ein gesicht im stein,
ein kindergesicht in der dämmerung
es sah uns an und wollte sein
und war‘s
und ward‘s und schwand
Wir standen lang noch Hand in Hand
Thema
wir sahen ein gesicht im stein,
ein kindergesicht. in der dämmerung
reduzierte das licht seine konturen.
es alterte mit dem abend schwand es
wir sahen es beide mit eigenen augen
und sprachen und sahen und waren selbst
das junge, das alte gesicht, das vergehen
jenseits der strömung im moldaugeklipp
[ANH,
gehalten am 18. Dezember 2015 in Frankfurt am Main
zur Verabschiedung Harry Oberländers als Leiter des
>>>> Hessischen Literaturforums im Mousonturm]</sub
CHRONOS KRUMLOV. Von Harry Oberländer.
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Berührt mich sehr.