Sardinien (1). Das Reise-, nämlich Arbeitsjournal des Freitags, dem 23. September 2016.


Jet Athen-Olbia 220916
(Athen-Sassari, 22.9.16)


Die Contessa hat neben mir gelegen. Denn diese Unterkunft hatte ich diesmal gebucht, andernfalls wir ganz sicher in einem nächsten Chatelet ge-, im quasi Wortsinn, -l a n d e t wären. Indessen bevorzuge ich, bekanntlich, die Haut eines Landes, also seiner Menschen. So fanden wir in dieser Dachwohnung Quartier. Konnt‘ ich denn ahnen, daß es nur ein, zwar großes, auf einem eigenen Etag’chen, doch eben e i n Bett geben würde?
Wir nahmen es beide mit Fassung, brachten diesen ja nun doch ein wenig übergriffigen Umstand überhaupt erst zur Sprache, nachdem wir wunderbar zu Abend gegessen. Wir mußten erst zum geparkten Mietwagen zurück, weil noch mein großer Rucksack drinlag, den ich für unsre Mansarde nun brauchte. Da erst sagte ich leise: „Ich schlafe unten auf der Couch.“ So eine gibt es hier, sozusagen für den Fall, daß die Bewohner sich streiten. – Sie wollte nichts davon hören. „Unsinn, das Bett ist groß genug.“
Wir sind züchtige Menschen, ich bin’s ja sowieso: zwischen uns >>>> Notung (das Wort Gram träfe weder in der alten noch der neuen Bedeutung zu). Auch ließ ich die Lady zuerst hinauf aufs Lager steigen und gruschelte unten herum, bis ich sie eingeschlafen wähnte, also packte meinen Rucksack aus und verteilte die siebenundsiebzig Sachen im Raum: neuer Arbeitsplatz, Ablage für technisches Equipment, schon mal das Tischchen für den Morgencaffè vorbereiten, mich um den WiFi-Zugang kümmern, sämtliche Geräte mit den Ladestationen verbinden – usw.
Leider gab es keinen Wein, aber wir hatten im Ristorante (auf einem schmalen Dach, zwischen den Wänden zweier höherer, doch ebenfalls schmaler Häuser, grandiose Cozze) schon genügend getrunken, sogar sie, die Contessa, die sonst Alkohol ablehnt, wie auch Tabak. Nein, hier trank sie gerne, nicht viel, einiges nur ich, aber eben doch: einen schweren Wein, der mich an den Westen Siziliens erinnerte, nahe am Likörwein, also durchaus süß, aber mit ebenso öliger wie bitterer Note.
Sie war erst gar nicht begeistert von dem Restaurantchen, außerdem hatte die eine der beiden Serviererinnen deutlich schlechte Laune, was entweder an ihrer fortgeschrittenen Anorexie lag („Noch weiter abnehmen“, bemerkte die Contessa, „darf sie aber nicht“) oder an dem Oberkörpertattoo, das man durch den Ausschnitt ihrer Bluse sah und, also was ich sah, den Eindruck vermittelte, es sei vom Schlüsselbein über die Brüste flächendeckend eingestochen. Dazu rechts unterlippig das Ringlein eines Piercings. Kann ergo sein, daß die junge Dame beim Sprechen Schmerzen hatte. Dann hätte auch ich, an ihrer Stelle, ungern meine Gäste nach ihren Wünschen gefragt. – Die andere Serviererin hingegen, nun deutlich eine Sardin, schimmerte im Seidenglanz allergeneigtester Freundlichkeit.
Ich bestellte Muscheln. Die Contessa verzog ihr Gesicht, als ich die erste Molluske aufgebrochen hatte. „Wie das schon aussieht!“ Kostete dann aber doch, vielleicht, weil ich so verzückt aussah. Dann war s i e verzückt. Allerdings zuerst überrascht. Daß ihr so etwas schmecken konnte! Wie geschrieben: Sie ist mindestens so züchtig wie ich es bin; nur meine Sittlichkeit fällt halt vor Muscheln in die Knie.
Gut, daß sie schon gegessen waren, als wir in unsre Soffita zurückkamen. Enge Scale, mehrfach gewunden zu Seiteneingängen, mir schon die Gassen sehr vertraut: Sie erinnern an Siracusas Ortigia. Als wäre es mir Heimat.
Und die Diskretion meiner Rechnung ging auf: Als ich zum Bett hinaufstieg, schlief die Contessa schon. Vielleicht tat sie auch nur so, den gebogenen Rücken zu mir, in die zwei Decken geradezu eingewickelt. Es ist hier kühler nachts als auf dem griechischen Eiland, entschieden kühler sogar. Tags nehmen sich die Temperaturen nichts, 26 bis 30 Grad C., nachts stürzen sie um zwölf Grad hinab.
Ich also aus der Unterhose, kann ja nicht bekleidet schlafen, und mich, nicht sie, danebengelegt, also neben die Contessa, und mir die Decke bis über die Beckenknochen gezogen; ich konnt‘ ihr ja schlecht – der Contessa, nicht der Decke – meine nackten Hinterbacken entgegenwölben. Meine gesamte Innenmoral wölbte sich gegen so etwas auf! Sie schwebte über meinem Einschlaf wie der, so hätte André Heller den Vergleich gewählt (und h a t ihn ja auch mal gewählt), 17. Juli über Paris.
Nun hatte ich der Contessa während unserer Herfahrt die Handlung des Tristans erzählt. Deshalb war es nur logisch, daß mir nunmehr, zu meiner eigenen Sicherheit, der Siegfried und also Notung einfiel, sein Schwert, das er zur Wahrung ihrer beider, wie gesagt, Zucht zwischen sich und Brünnhilde legt. Kaum hatte ich diese imaginative Leistung vollzogen, fiel ich denn auch in Schlaf, aus dem ich mich sehr zum Unwillen meiner Contessa wie gewohnt um 5.30 Uhr mit markerbebendem Jaul von dem Ifönchen wecken ließ.
Bis 5.45 Uhr blieb ich liegen, dann stand ich auf, sehr sehr leise, ließ meine Gräfin schlafen und begann meine Arbeit –

… die ich aber nun unterbrechen muß, denn sie ruft mich soeben, will frühstücken gehen. Ich darf nicht abstehn, sie zu begleiten, habe meine Pflichten. Von unserm Flug erzähle ich später, vielleicht auch erst, wenn wieder in Berlin zurück. In ihrer, der Contessa, Gegenwart bin ich als Adjutant gefordert.

(11.03 Uhr)
Kurz zurück. Ein langer Gang die Fortifikation des alten Hafens entlang, ein sehr schlechter Latte macchiato und mindestens ebenso schlechter Cappucino direkt an der Anleger-Passegiata, aber mit Blick hinüber auf die Villa, die unser Buch auf die Felsenzunge bauen will, drüben. Dahin werden wir jetzt fahren. Mit dem Boot wären es vielleicht zwanzig/fünfundzwanzig Minuten, mit dem Wagen wird es erheblich länger dauern. Mal sehen.
Es ist ja auch nur unsere erste „angedachte“ Möglichkeit. Später werden wir gen Süden einige Kilometer die Küstenstraße entlang nach anderen Orten schauen.
Haben Sie einen guten Tag!

ANH

4 thoughts on “Sardinien (1). Das Reise-, nämlich Arbeitsjournal des Freitags, dem 23. September 2016.

  1. Fiktion? Na also echt, das klingt alles gewaltig fiktiv- wenn das Foto nicht wäre. Der nackte ANH neben der Contessa. Züchtig. Ich glaub’s nicht!

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