Traurigkeit: Gestern habns an Willy daschlogn. Von Konstantin Wecker. Anstelle eines Arbeitsjournals. Am Freitag, dem 23. Dezember 2016, tagsvor Heiligabend.


[Arbeitswohnung, 7.46 Uhr
Konstantin Wecker, Lieder]

Ach, davon meinem Sohn weitergeben. Dachte ich um halb sechs, als ich bereits in der Küche stand, eine Dreiviertelstunde lang den Grundteigling für den Panettone knetete und dabei Konstantin Wecker hörte. Da ergriff mich eine Traurigkeit.
Wie lang, wie lang vorbei! Gestern habns an Willy daschlogn. Als Freiheit noch ein Begriff war, als Widerstand noch ein Begriff war unserer Bedürfnisse.Dann hast plötzlich mim Schlucka ogfanga, und I glaub, a bisserl aufgebn hast damals scho. I versteh di, des is ja koa Wunder, wenn man bedenkt, was alles wordn is aus de großen Kämpfer. Heit denkas ja scho mit 17 an ihr Rente, und de Madln schütteln weise an Kopf, wenn d’Muater iam Mo as Zeig hischmeißt und sagt, mach doch dein Krampf alloa, I möcht lebn, trotzdem, Willy, ma muass weiterkämpfen, kämpfen bis zum Umfalln, a wenn die ganze Welt an Arsch offen hat, oder grad deswegn.Und dafür die Schlüsselworte und du hast ma damals scho gsagt: Freiheit, Wecker, Freiheit hoaßt koa Angst habn, vor neamands(…).


Und du hast damals scho gsagt, lang halt des ned, da is zvui Mode dabei (…).Und er singt von jungen Leuten, die André Gide lasen und also wußten, daß es den einmal gab! – Drei Lieder weiter dann:Ich sitz regungslos am Fenster,/ein paar Marktfraun fangen sich ein Lächeln ein./Irgendwo da draußen pulst es,/und ich hab es satt, ein Abziehbild zu sein./Nichts wie runter auf die Straße,/und dann renn ich jungen Hunden hinterher./An den Häusern klebt der Sommer,/und die U-Bahnschächte atmen schwer./Dieser Stadt schwillt schon der Bauch,/und ich bin zum großen Knall bereit./Auf den Dächern hockt ein satter Gott/und predigt von Genügsamkeit:


Genug ist nicht genug,/ich lass mich nicht belügen./Schon Schweigen ist Betrug,/genug kann nie genügen.



Geradezu prophetisch aber das Hexeneinmaleins:



Die Angst ist die Flamme unserer Zeit, und die wird fleißig geschürt.

Hiervon, von Weckers inneren Aufbrüchen und sinnlichen Gewißheiten jenseits aller GruppenWas-man-darfs, meinem Sohn etwas mitgeben. Würde er diese Lieder noch verstehen?

(Vatererbe).

Bei Wecker findet sich, was mich immer trieb: Gutes, tiefes, menschliches Pathos, jede Ader, jede Vene prall damit gefüllt. Der Dichtung haben sie es ausgetrieben. Da ist imgrunde nur noch sei‘s nüchterne, sei‘s ironische Distanz. Daß es zeit ist, ja zeit längst war, diesem Betrieb den Rücken zu kehren, wird, wenn ich Weckers Lieder höre, unabweisbar.

Kochen. Backen. Da sein.

ANH, traurig.

5 thoughts on “Traurigkeit: Gestern habns an Willy daschlogn. Von Konstantin Wecker. Anstelle eines Arbeitsjournals. Am Freitag, dem 23. Dezember 2016, tagsvor Heiligabend.

  1. Eine andere Zeit, aber wir leben jetzt. Mag es auch jeweils eine andere Zeit gewesen sein (bei mir waren es die Wendezeiten), die man am intensivsten erlebt hat, aber es ist so oder so Vergangenheit. Es bleibt nur, die Intensität nicht nur zu bewahren, sondern zu vermitteln oder besser weiterzugeben.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .