Insekten. Eine Fliege auf der Hand. Recht standfest. Bis ich mich bewege. Fliegen übertragen etwas Nervöses. Ganz anders die Grillen oder Zikaden auf dem Weg im warmen Nachmittag Richtung Bahnhof. Da nahm ich das intensive Zirpen als Zeichen des Sommers erstmals wahr in diesem Jahr, das lautstark aus den Bäumen hervortrat, an denen wir vorbeifuhren. Beide Fenster weit offen. In der Oberstadt gibt es weder Grillen noch Zikaden, aber ich weiß den Unterschied nicht. In Delphi sah ich tatsächlich mal einer Grille beim Zirpen zu. War es eine Grille?
All das bereits ins Vorgestern verkippt. Und immer wieder die Frage: Wer die Grille zuerst entdeckt da in Delphi (der Touristenprospekt sprach dauernd von “die Delphoi”, was mich irritierte), also dies wahrscheinlich die Sibylle, der ben-zi-bena-Omphalos, das Zirp-Orakel dort. Das eigentlich Betörende das “Meer der Oliven” beim Hinunterfahren nach … Wie letztlich auch nie die Frage eindeutig geklärt werden konnte, ob sie damals im September 1981 ein Kleid oder eine Hose getragen. Merkwürdige Diskrepanzen. Aber Sibyllen sind schwer zu interpretieren, besonders dann, wenn sie sagen: “È la verità!” Scilicet: Pravda. Womit zum Begriff “Wahrheit” alles gesagt ist.
Die Fliege blieb weiterhin regelmäßiger Gast zu bestimmten Uhrzeiten und setzte sich, sagen wir, zwischen der Hundsfliegen- und der Wolfsfliegenstunde immer mal wieder auf den Handrücken, penetrant wie ein tonloses Zirpen, ohne jedoch wie jenes Sommer zu evozieren, sondern nur offene Türen und Fenster, die immer das Gegenteil von Wärme wollen. Wahrscheinlich ist sie nun tot, die Fliege, wenn sie eine Eintagsfliege war. Der Nachmittag heute war fliegenlos. Es hilft auch nichts, wie bei Bienen oder Wespen das Fenster aufzumachen, damit sie nicht mehr dauernd mit dem Glas kollidieren. Das Licht draußen war der Fliege egal.
Wie auch mir im Grunde genommen, was sich gefährlich einem “eigentlich” nähert. Es wäre besser, man sagte, im Brunnen besehen. Der nämlich ist zwölf Stunden tief (heute). So lange saß ich am Schreibtisch und werd’ ich die nächsten Tage sitzen müssen. Seit Montag häufen sich die Papierschlangen, um Arbeitskarneval zu feiern. Ich empfinde es im voraus tatsächlich als “carne macinata”, was da am Ende als mein Körper hoffentlich wiederaufersteht. Wobei “carne” durch Brägen ersetzt werden kann.
Nicht als Laokoon, obwohl ich fast diesen Vergleich zöge. Nur Papierschlangen, die sich ringeln. Und wäre heute nicht die eine sehr kurze Aug’-in-Aug’-Begegnung gewesen, er glaubte nicht wirklich daran, daß es außer Hexen noch andere Epitheta für das gibt, was in semitischen Sprachen ohne Vokalangabe wiedergegeben wird: frgnznvmtt… immerhin begreife ich jetzt, warum der Lindenbaum am Brunnen vor dem Tore Lendenbaum heißen müßte… ganz ohne Grund und in Absehung alles dessen, was man so “eigentlich” nennet.