Frau Schneefeld und Herr Hund. Im Arbeitsjournal des Sonntags, den 4. November 2018. Doch anfangs zum Ursprung der, nach Elena Dorfman, Neuen Welt.

[Arbeitswohnung, 8.22 Uhr
Jarrett, Creation]

„Die Möse ist wie ein Stück Straße der Erkenntnis.“

Er t r ä u m t e mir – wirklich! -, dieser Satz; ich fand das Bild und seine Erklärung – der Sprecher gab sie uns – völlig einleuchtend: je rechts und links der Damm, in der Mitte die beiden hinaufführenden Fahrtspuren. Ich glaubte auch nicht, daß ich schlief, sondern hielt mich für wach und meinte, ich erinnerte mich. Noch als ich meinen ersten Latte macchiato zubereitete, dachte ich so, und daß selbstverständlich der Satz mit in das nächste Journal hineinmüsse, in dieses also hier. So daß mir erst jetzt, da ich zu schreiben ansetze, bemerke, wie schief das Bild der Straße ist; eher passend wäre ein Fluß- oder meinethalben Kanal, die Ufer nach Art kleiner Deiche aufgeworfen, zwischen denen das Wasser auch nicht gleichmäßig dahinzieht, sondern gegenläufig kabbelt, wenn wir die beiden inneren Häutchen hinzumalen: Die Seiten 114 ff, auf denen im neuen Diaphanes-Magazin >>>> Elena Dorfmans Fotografien reproduziert sind, zeigen in ihrer pornografischen Präzision höchst genau, was ich sehe: The Origin of the New World.
Das oben zitierte „Bild“ ist also falsch, zumindest verbogen. Dennoch ist es, im Traum und als sein Zentrum, höchst exakt, zeigt nämlich, wenn es schon derart tief ins meine Träume nährende Unbewußte hinablangt, wie entscheidend die derzeit als Correctnesskampf ausgetragenen Differenzen geschlechtlicher Positionen sind – was Wunder! da sie wirklich auf unseren Ursprung, den der Art, zielen, zu denen ich mich immer wieder, namentlich in den Gedichten, äußere und zugleich, weil es Gedichte eben sind, formal objektiviere. Es werden hier entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt oder, um im Bild zu bleiben, Schleusen geöffnet oder verschlossen. Jedenfalls wird es versucht. Dabei brennt mir meine Positionierung unter der Haut, brennt, ja, weil es längst einer retortischen Reproduktion „des“ Menschen entgegengeht, dessen Geschlechtlichkeit sich programmieren lassen und damit ins Kalkül mächtiger, d.h. finanzstarker Interessen überantwortet werden wird, mithin der Industrie. Um es mit Adorno auszudrücken: dem Verblendungszusammenhang, freilich einem, den allerbeste Gesinnungen füttern, will sagen: die gerechteste Moral. Denn jede hält sich für gerecht, von der ihren sind Trump und Putin genauso überzeugt wie, sagen wir, der Dalai Lama und Franziskus oder Judith Butler auf der einen Seite, Camille Paglia auf der andern und Wolf Singer auf wieder einer nächsten.

Aber etwas anderes. Ich habe >>> gestern >>>> einen wirklich süßen Buchladen kennengelernt, „süß“ im Wortsinn, den ich Ihnen, Freundin, ans Herz legen möchte. Nämlich kombiniert er Bücher mit Edelschokolade, chocolaterie. Indes, was daran gefällig klingt und gourmetbezogen auch sein mag, ist es in Blick auf die angebotene Literatur keineswegs. Es finden sich dort Titel, die von den Ketten eher gemieden werden, auch und gerade, was die Anstrengung des Lesens – einer, siehe Adorno, des Begriffes und, möchte i c h sagen, Wortes – anbelangt, nämlich des Poetischen. Es scheint dies auch zu funktionieren; das kleine, bisserl kitschig eingerichtete Geschäft trägt sich nun schon zweieinhalb Jahre; der für es arg nüchterne Ausdruck „Spezialisierung“ scheint das Geheimnis zu sein – gerade der spürbare Wille, nur anzubieten, wohinter die Inhaber selbst stehen. Und das ist eben, anders als die Schokolade, nicht süß. Gewiß wird auch wert auf die Ausstattung der Bücher gelegt; aber den, jahreszeitsbedingt, derzeit mitangebotenen, märchenhaft verträumten Adventskalendern gleichen sie nicht mal entfernt, sondern auch Zumutungen finden sich darunter, die den Begriff der Dichtung so ernst nehmen wie diaphanes, und so radikal, auch wenn alles übrige aus nicht nur einer andern, sondern diesem Verlag, diaphanes, geradezu entgegengesetzten Richtung zu kommen scheint. So gehört denn auch Septime ebenso mit ins Programm wie der mir bis gestern unbekannt gewesene, auf japanische Literatur ausgerichtete Cass-Verlag, die vorabends beide aus ihren Veröffentlichungen lasen, lesen also ließen – Verlage selbst sind ja stimmlos. Höchst sympathisch – und warmherzig innig – ging eine kleine Verköstigung der Gäste voran, mit selbstgekochter Misosuppe, und zwischen den Lesungen wurde ein süßer Imbiß gereicht, wo anderwärts getrunken worden wäre. Ich konnte nachher nicht anders, als mich für die Gastfreundschaft zu bedanken, und hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich kein Buch kaufte. Doch Jürgen Schütz, der Verleger Septimes, gab mir sein Vortragsexemplar so in die Hand, und das sehr edel gebundene Bändchen von Class, das mich höchst angesprochen hatte und also interessierte – Shoguro Yamamotos, mit ausdrucksstarken Tuschen illustriert, >>>> Die Rache – erwies sich,

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als ich nachher drin zu blättern versuchte, als auf mir zu glattem, auch hartem Papier gedruckt, wo ein zartes, zurückhaltendes, auch nicht gar so weißes erfordert wäre; eine chamoise Tönung wäre angemessen; vor allem aber mag ich es nicht, wenn die Seiten nicht geschmeidig fallen können. Oder man verzichtet auf Papier ganz. – Es ist dies einer der wenigen „Fälle“, in denen ich die Lektüre im Kindle vorziehen würde – allein wegen des hier falschen Papiers. – Eine Idiosynkrasie, geb ich zu, meine, denn was Jürgen Stalph aus Katja Cassings Übertragung vortrug, hatte große erzählerische Klasse. – Jürgen Schütz, übrigens, trug weniger vor, als daß er erzählte („Murakami: was Haruki für Europa, ist für Japan Ryū„) – aber und w i e ! erzählte, geradezu ein Entertainer:


(Ähnliches, für ihre Bedeutung also, gilt für Thomas Pynchon und Paul Auster in Hinsicht auf Europa und die USA.) Zum Buch-selbst will ich mich später äußern, insofern ich Schützens Leseauswahl stilistisch wenig bezeichnend fand und erst das Buch ganz kennen will, den ersten Roman, „Invasion“, z w e i e r Bände:

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Der zweite Teil soll im kommenden Frühjahr erscheinen, dem ersten Band meiner Erzählungen zur Seite.

Doch zu der Buchhandlung noch einmal.  Die elegante, berückend charmante Dame, die für Fräulein und Hund die PR „macht“ – es gehört zum Stilverfall der Zeit, daß man einander nicht mehr vorgestellt wird; so weiß ich ihren Namen leider nicht, aber vielleicht war auch ich selbst, weil von vornachts noch reichlich lädiert, zu unaufmerksam, um ihn behalten haben zu können -, also diese ausnehmend einnehmende Frau bemerkte zu recht, es reagiere Berlin gegenüber der allenthalben beklagten Entwicklung auffällig antizyklisch: hier würden dauernd n e u e Buchhandlungen eröffnet. Dem entspricht mein Eindruck; allein in meiner unmittelbaren Umgebung sind es unterdessen drei; von weiteren werde ich es nicht mal mitbekommen haben. Und jede zeichnet ein persönlicher Stil aus, persönliche Vorlieben, die leidenschaftlich vertreten werden. Vielleicht kommt es ja doch noch mal zu etwas, das ich mir wünsche: daß ich Buchempfehlungen auf eine von denen verlinken kann, und sie, und nicht etwa amazon, kümmert sich dann um Bestellung und die Zusendung auch, die freilich portofrei erfolgen sollte. Eine Buchhandlung, wie oft gesagt wird, meines Vertrauens, das ich nur dann aber hätte, wäre auch m e i n Werk in ihr, und stetig, vertreten. Es war dies einmal, in der Geschichte, Idee der Autorenbuchhandlungen, deren Sortimente sich aber a u c h längst angepaßt haben. In der Berliner kommen meine Bücher nicht einmal vor; nur die >>>> Münchener nehm ich hier aus und engagierter Einzelköpfe wie Alfred Böttgers. Generell ist’s aber offenbar, wie Arcos Vertreter gesagt hat, und Elfenbeins: „“Die Buchhändler scheinen Angst vor ANH zu haben.“ Dabei schützt sie vor wirklichem Risiko die in keiner anderen Branche auch nur denkbare Remittendenpraxis.
Kann es sein, daß den Buchhändlerinnen und -händlern das diese Angst macht, daß ich mich in manchem so offen gegen den Mainstream stelle, ganz wie zu Beginn dieses Journals? Daß ich – widerspreche? Liebste Freundin, ich weiß es nicht, mag mich auch lieber wieder meinen Erzählungen widmen, als solch müßigen Fragen nachzugehn.

Ihr
heute mal Abhold,
(da’s nun doch drauß‘ | Herbst ohnedies ist)

3 thoughts on “Frau Schneefeld und Herr Hund. Im Arbeitsjournal des Sonntags, den 4. November 2018. Doch anfangs zum Ursprung der, nach Elena Dorfman, Neuen Welt.

  1. Dass Herr Hund den Mut nicht hätte, einen solchen Autor aufzunehmen, glaubt Herr Hund selbst nicht, denn der Ahnungslose (Ist Angst nicht eine Ahnung?) ist selbst nie ängstlich, sondern eben nur dies: ahnungslos. Das wäre ähnlich dem, der etwa den Cass-Verlag aus Ängstlichkeit nicht kennen möchte. Ganz sicher nicht. Es gibt -glücklicherweise- dann doch unter den Guten und Interessanten noch genug, dass auch einmal einer unter den Tisch fällt. Das ist im Einzelfall nicht nett, lässt einen aber für’s Ganze gesehen optimistisch zurück….. Herr Hund ist Brillenträger, manches entgeht seinem Blick, aber das muss ja nicht so bleiben. Herr Hund hat sich über den Besuch gefreut, den Beitrag siehe oben sehr gerne gelesen…und behält im Blick, was oder wer noch kommen sollte

  2. Das ist, Herr Hund, eine g u t e Frage: ob Ahnung nicht Angst sei. Nie vorher bin ich auf diesen Gedanken gekommen, und doch hat er etwas eigenartig Evidentes. Die Mehrzahl deutet es weniger undeutlich an: Ahnungen haben.
    Sie haben mir jetzt etwas, sehr, zu denken gegeben. Und ganz gewiß war ich in Ihrem Geschäft gestern nicht zum letzten Mal – egal, ob sie mit meinen „Sachen“ schließlich etwas anfangen können. Nicht viele, nun gut, „Händler“ vermögen eine Liebe zu erwecken, wie sie für Sie Septime, und für Frau Schneefeld, hat.

    (Keith Jarrett spielt in Wien, 2016. Es ist ein verzweifeltes – Glück.)

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