Vierzehntes Coronajournal: Sonnabend, der 4. April 2020. Darinnen Christian Jeltschs und Jobst Christian Oetzmanns großer TATORT mit Maria Furtwängler und Florence Kasumba, die beide einfach nur hinreißend sind.

[Arbeitswohnung, 7.37 Uhr]
Ein klein wenig alarmierend war dies nun doch, daß ich gestern, nachdem ich nach einer Unterbrechung von sieben Monaten mein → Lauftraining wieder aufgenommen hatte und es mit dem nur-5-Kilometer-Lauf aber doch sehr, meinte ich, vorsichtig angegangen war, nachher quasi völlig außer Gefecht gesetzt war. Unter der Dusche ging es mir noch bestens, ein tiefes, genußvolles Duschen, doch als ich mich dann zur Siesta legte, begann das Zittern, wirklich, am ganzen Leib. Obwohl ich noch eine zweite Decke über mich legte. Es hörte überhaupt nicht mehr auf, hielt bis zum Abend an, störte meine Konzentration. Komplett arbeitsunfähig.

Und dann, was ich mir so sehr gewünscht hatte, schauten mein Sohn und लक्ष्मी herein; er hatte sich ohnedies angekündigt, nachdem ich ihm gewhatsappt, es liege sein Mietzuschuß hier bereit, und sie, nun, schloß sich ihm an. So standen sie dann hier, saßen, bekamen jede/r ihren Espresso. Wir plauderten, ich zitterte weiter — und das nun gehört zum dann doch Alarmierenden, daß ich denken mußte: Dein Körper ist grad ziemlich geschwächt, wenn sie oder er nun Überträger sind, dann hast du Corona jetzt.
So tief reicht, was grad geschieht, in unsere Psychen hinein. Es ist eine imaginäre Angst, die zugleich doch konkret ist. Einmal abgesehen davon, daß, diese lange Zeit mein Training ausgesetzt zu haben, ein selbstverschuldeter Raubbau an meinem Leib und deshalb, schon für sich genommen, an meinem Geist war. Dieses quasi-Erliegen der physischen Widerstandskraft zeigt die Schwächung der Seele an. Zugleich muß ich aufpassen: nicht meiner Subdepression auf den Leim zu gehen, die mir nahelegen wird, nach der Erfahrung von gestern den Sport doch „sicherheitshalber“ wieder einzustellen, kaum daß ich ihn neu begonnen. Denn die, ich schreibe mal, Durchlüftung des Körpers „schadet“ der Verstimmung, hellt sie physiologisch auf und wird sie schließlich erledigen. Das kann sie nicht wollen. — Durchaus sinnvoll, innere Dämonen auch dann als absichtsgerichtete Geschöpfe zu begreifen, die uns alles andere als wohlwollen, wenn sie auch, „tatsächlich“, nur sozusagen blinde Abläufe der Hirnchemie sind.
Daß uns aber, was wir ersehnen, zu Furchtgründen wird, ist eine der schlimmsten Infamien Coronas. Wie so oft, läßt sich auch dem nur mit Stolz und Haltung begegnen, auch und gerade dem Risiko.

(Umso wichtiger wird es nun sein weiterzumachen, aber vielleicht noch vorsichtiger dosiert als geplant. Vielleicht den Lauf erstmal etwas umbauen: 2,5 km laufen, 1 km gehen, die nächsten 2,5 km laufen, dann nochmals einen Kilometer gehen. Wenn das vom Körper ohne Einschränkung weggesteckt wird, wieder zum Durchlaufen übergehen und langsam steigern, bis ich wieder da bin, wo ich gemeinhin war, bei meinen 13,3 durchgelaufenen Kilometern. — Die sonst zur Verteilung der körperlichen Beanspruchung genutzten Alternativen sind mir ja derzeit verschlossen und werden es noch lange bleiben: Schwimmbäder zu, Fitnesscentren zu. Mal sehn.)

***

Zweierlei ist mir, von Corona abgesehen, gerade wichtig:

1
Es wäre fein, wenn Sie, liebste Freundin  — falls auch Sie, worüber ich mich freute, zu meiner neuen „Serie“ Omisätze auch aus Ihrer Erinnerung etwas hinzutun möchten —, daß Sie dann bitte den Namen und möglichst die Lebensdaten der Großmutter hinzufügen möchten. Ich werde diese Menschen nämlich dann jeweils in die Widmung des folgenden Beitrag mit übernehmen, so daß sich nach und nach ein Museum erzeugt, das längst Vergessene nennt und ihnen den Wert eines Bleibenden, Gebliebenen gibt, eine, sozusagen, Ehrung als kleine Kulturgeschichte von unten.

2
Bitte schauen Sie sich den wirklich großen TATORT „Krieg im Kopf“ an, in der ARD-Mediathek → dort noch bis zum 29. September dieses Jahres verfügbar (wenn Sie auf das Bild klicken, öffnet sich der Film und beginnt). Er gehört nicht nur seiner Thematik wegen zu den so aufregendsten wie beklemmendsten und damit mutigsten Folgen dieses Formats überhaupt, ist zugleich ein deutlich politischer Kommentar zum Begehren der USA, Rebellen wie Julian Assange auszuliefern, sondern das gestalterische Schauspiel beider Frauen ist von einer derartigen Intensität, daß ich vor Bewunderung auf die Knie sinken möchte, und zwar gerade, weil sich Lindholm (Maria Furtwängler empfinde ich als eine der erotischsten Schauspielerinnen unserer Gegenwart überhaupt) und Schmitz ja nun wirklich nicht leiden können und aber so sehr klar wird, wie wenig das angesichts des politisch-militärischen Geschehens eigentlich eine Rolle spielt, noch spielen darf — und daß es ihnen klar wird. Das ist nicht nur indirekt auch ein Kommentar zu Corona, sondern vor allem einer weit über Corona hinaus, insofern deutlich wird, wie gefährlich es ist, im Leben mit der gegenwärtigen Virusbedrohung alles andere zu vergessen, als wäre es nicht. Ungarn, sehr offen, hat schon gezeigt, was geschehen kann, aber auch wir scheinbar freien Europäer — gerade in der nötigenden Umklammerung durch die NATO — stellen allzu, ich möchte fast „erleichtert“ schreiben … wie auch immer, stellen unterm Diktat der Notwendigkeiten unsere Rechte allzu einfach anheim. Notstandsrechtlich und zugleich manipulativ-moralisch durchgesetzte „Sachzwänge“ vor Bürgerrecht. Bislang nur die Schweden widerstehen dem, ja nur sie sehen einen Zusammenhang, denken also freiheitspolitisch zugleich. Daß sie wissen, auch sie kommen um Tausende Tote nicht herum, und daß sie es öffentlich auch sagen, zeigt die Bedeutung, die Freiheit für sie hat.
Übrigens fällt in dem TATORT ein erkenntnistheoretisch extrem bedeutsamer Satz, dessen Wahrheit zugleich eine Aussage zur Frage unsres vorgeblich freien Willens ist:

Gedanken entstehen, bevor sie uns bewußt werden.

Wer hier weiterdenkt, der und dem wird herzenge schwindlig.

Ihr ANH

(Siehe auch → Trainingsprotokoll)

P.S.:
Hier noch der → Link auf ein ausführliches Grundsatzpapier (PDF) zum (für Deutschland) empfohlenen weiteren Vorgehen in Zeiten der Corona. Ausgearbeitet von einem Gremium deutscher Wissenschaftler. (Dank an die NZZ.)
Ein einiges, freilich, geschweige einigendes europäisches Vorgehen wird nach wie vor von Der Dschungel vermißt — eine grausliche, wenn auch „Neben“katastrophe.

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