Welch ein Gefühl! Das Arbeitsjournal des Freitags, den 29. Juli 2022, erzählt vom Kopiergang der Briefe nach Triest und, was der Autor beim Durchblättern und Herumschmökern in den zusammengehefteten Seiten vermischt mit der Skepsis empfand, es sei noch ein bißchen früh, sich zu freuen. Doch nimmt sich damit eine Beklemmung hinweg.

[Arbeitswohnung, 7.45 Uhr]

Das Bärenfell verkaufen, bevor der Bär schon tot ist (was alle Sídhe verhindern mögen!) — so, ein wenig, dachte ich über meine Freude nachher nach. Und dennoch fühlt es sich momentan an, als wäre der Roman schon geschrieben und es gehe jetzt “bloß noch” um eine Fortsetzung. Was indes, letzteres, ungefähr auch stimmt. Denn immerhin hatte ich die Arbeit an den Triestbriefen sieben Jahre lang unterbrochen; da ist es nicht leicht, neu anzusetzen. Ich kann diese sieben Jahre auch nicht ignorieren, insofern es zu meiner Ästhetik stets gehört hat, parallel zum Zeitgeschehen zu arbeiten und dies sich in der Prosa auch niederschlagen zu lassen — “niederschlagen”, liebe Freundin, in, wenn Sie mögen, beiderlei Sinn. Weder → um den Krebs noch um Corona oder jetzt gar den Ukrainekrieg komme ich, will ich realistisch — “realistisch” in meinerAuffassung von Realismus – erzählen, herum. Also ist mit dem dreiunddreißigsten Brief ein Ansatz zu finden, der alles dies mitträgt, ohne daß das Thema des Romanes-selbst verlassen wird. Es hat diese ästhetische Notwendigkeit einige Quadraturen von Kreisen.
Doch, erzählte ich es schon?, fand ich die Lösung in einem Treppenhaus der Wiener Lorbeergasse, als ich, die Pfeife rauchend, am weit geöffneten Fenster des dritten Stockwerks im Hausflur stand und den dauererregten Taubern zusah, die sich gurrend um die Täubinnen bemühten, die ihrerseits quasi auf Dauerflucht waren, jedenfalls sich den Männchen zu entziehen versuchten, soweit es irgend ging. Die aber immer hinterher, auch wenn dazu von Regenrinne auf Dachfist hinunter wieder auf Schuppendach oder in die äußeren Fensterbänke geflattert werden mußte. Zum — hm, “Stich” läßt sich bei Vögeln nicht sagen, ist ja selbst bei Menschen fragwürdig Verkürzung … wie auch immer, kam es nicht. Vielleicht kennen Tauben ja doch Diskretion in ihren Intimitätsbelangen. Und dann der Schauder. Ja, er lief mir über Arme und Rücken. Welch eine Übertretung! Ich hab es Ihnen schon erzählt und laß es hier jetzt bewenden mit sich. Doch hätte ich mich gleich niedersetzen und weiterschreiben können.
Soweit war es in Wien noch nicht, aber vorgestern hier in Berlin. Auch der fünfte Durchlauf war abgeschlossen. So daß ich gestern die PDF erstellte, um sie auszudrucken, aber, dachte ich, nicht hier an meinem Lasergerät, das dauernd motzt, wenn es über mehr als zehn Seiten an den Doppeldruck geht. Der hat nicht nur mit den Kosten zu tun, sondern vor allem damit, daß sich 300 Seiten schwerer mit herumtragen lassen als 150, und 300 sind es doch bereits, genau: 312. Wenn aber ein Text so weit gediehen ist, will ich ihn ständig bei mir haben, hier lesen, dort lesen, damit mir nicht ein einziger Nebenfaden der Erzählung nicht im Kopf ist; manches entdecke ich dann sogar neu. — Also, was kostet’s pro Seite im Copyshop. Gut, auf achtzehn Euro werd ich insgesamt kommen (es warn dann 18,25), dafür ist alles schnell erledigt, ich muß mich nicht ärgern, wenn dauernd Papierstaus zu beheben sind oder der Ablauf gehemmt wird, weil der Drucker zu heiß geworden; und obendrein hab ich noch einen angenehmen Spaziergang durch den Sommer übern Helmi und wieder zurück.


Schließlich lag der Text geheftet vor mir, also gelocht und vom Heftstreifen zusammengehalten, drum herum einer der alten Aktendeckel von Hans Soldan, die ich seit meiner ReNo-Lehre immer gerne verwende, weil sie auf der Hinterseite eine eingefaltete Papiertasche haben, in die sich Fundstücke hineintun lassen, Prospekte (in diesem Fall der Grotta gigante, Sgonico bei Triest), Fahrscheine, sonstige Ticketts usw. … lag der Text quasigebunden vor mir, sehr sauber, sehr klar, und wenn ich hineinlas, dann zu meiner Zufriedenheit. So daß ich heute schon mit dem dreiunddreißigsten Brief neu beginnen könnte und mir auch sicher bin, überhaupt nicht zu stocken dabei, sondern einfach durchzuschreiben. Zu klar habe ich jetzt die Motivketten und Weiterungen vor Augen. Doch wird es ein Ruhetag werden, ein Familientag, ein Ausflug, leider indes ohne meinen Sohn, der arbeiten muß (und will: toller bezahlter Videoauftrag). Jedenfalls um 11 Uhr Treffen drüben bei लक्ष्मी und mit den Zwillingsteenies ab zum Alexanderplatz in den Regionalexpress. Es war i h r e Idee, der ich mit Freuden folge. So doch wenigstens ein Urlaubstag gemeinsam in diesem für mich perfekten Sommer; ich bin über Hitze ja glücklich, auch wenn ich auf der anderen Seite den Klimawechsel beklemmend finde. Doch wie auch immer, den Hefter mit den ausgedruckten Seiten nehme ich selbstverständlich mit.

Ihr ANH

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .