[Jazzfest Berlin 2022 → Programm]
Es ist schon erstaunlich, wie oft es sich bestätigt, daß nur zu lauschen einen völlig anderen Eindruck ergibt, als wenn wir live eine Musik hören, zu der Eindrücke des Gesichtssinnes kommen; diese müssen nicht einmal von einer zum Beispiel „Lightshow“ manipuliert werden, es genügt, jemanden vom Ansehen sympathisch, interessant, was immer zu finden – schon hören wir gar nicht mehr wirklich, was da zu Gehör gebracht wird. Wir müssen, jedenfalls ich muß, pur hören, um uns nicht kunstfremd beeinflussen zu lassen. Genau dies ist der Grund, weshalb ich, wenn ich über ein Konzert schreiben will und/oder soll, stets mitschneide und dann, daheim am Schreibtisch, die Stücke wieder- und wiederhöre, meist sogar noch, während ich schreibe.
Sie müssen sich, Freundin – die Sie mir ja leider abgesagt haben, weil Sie eine andere Verabredung hatten (über deren Charakter Sie sich, wie mir gegenüber in solchen Fällen ja immer, ausschwiegen) – … Sie müssen sich, liebste Freundin, erst einmal vorstellen, wie wirklich lang diese Jazzfestabende sind; auf der Hauptbühne des Hauses der Musikfestspiele Berlin ging es um 18 Uhr los, und dort das letzte Konzert des Abends endete um 22.15 Uhr, mit zwar zwei Pausen dazwischen, aber dennoch. Und danach geht es auf den Seitenbühnen bis sicherlich Mitternacht weiter. Woran ich dann allerdings nicht mehr teilnahm, Craig Taborns „Intercept Metals“ — sofern ich die Moderatorin richtig verstanden habe; also: „aufgefangene Metalle“, dann — war fordernd genug für das längst schon müdkonzentrierte Ohr, um nicht zu schreiben: überforderte es. Entsprechend verließen viele Menschen dieses letzte Konzert, während es noch ablief — nicht wirklich übrigens Freejazz, auch wenn wer es so meinen mochte, aber mit starken Anteilen davon. Doch immer wieder klangen, in Spuren nicht unähnlich Schnittkes Polystilistik, tonale Spuren, ja melodische Themen an, gleichsam vorüberschwimmende Inseln des Vertrauten, an denen es sich orientieren, zumindest momentlang zur Ruhe kommen ließ. Wobei selbst mir, während Mat Maneri, Nick Dunston, Sofia Borges und Craig Taborn selbst musizierten, ernorm viel entging. Wie ich jetzt höre. Doch ich ahnte es da schon. Unterm Strich: Mit sogar großem Abstand das musikalisch beste aller drei Konzerte. Besonders, im Nachhören, fällt Hamid Drake’s Turiya ab, von dem ich nach anfänglicher Begeisterung aber bereits während der Aufführung denken mußte: „O, das schrammt jetzt nahe am Kitsch“. Und es schrammte nicht nur. Bei aller musikantischen Virtuosität wurde schließlich derart arg auf die Tränendrüsen gedrückt, daß das Schmalz nur so aus den Boxen seimte. Das Publikum freilich begeisterte das. Wie sang schon Stephan Sulke? „Die Intellektuellen, / die hören gerne Blues. / Bei denen tanzen die Forellen / im hausgemachten Apfelmus.“ Selbst wenn es durchaus angehen mag, die Verehrung für Alice Coltrane an einem solchen Abend zu, wie Drake es mehrfach nannte (und uns aufforderte mitzutun), „zelebrieren“ (celebrate), wird es spätestens dann geschamcklos, zumindest arg peinlich, wenn gleich noch nicht nur die Kuratorin, Nadin Beventer, die auch den Abend – gut – moderierte, mitzelebriert wird, sondern das Team der Musikfestorganisation ganz ebenso. Ich dachte nur, gleich fallen sich alle in die Arme und heulen. Wobei sich jetzt, im Nachhören, herausstellt, daß die musikalischen Themen der meisten in diesem Konzert vorgestellten Stücke entsetzlich banal sind, und zwar auch dann, wenn sie sich zurecht auf „den“ Blues berufen können. In Drakes „Fall“ entsteht die Banalität aus der minimalmusic-artigen permanenten Wiederholung (allerdings ohne spürbare Verschiebungen), in die dann salbungsvoll hineingesprochen und -gesungen wird, mit schöner Männerstimme, ja, doch, möcht ich da beinah schreiben, umso schlimmer. Und suggestiv klopft der übrigens grandiose Vibraphonist Pasquale Mirra auf zwei Klanghölzern mit. Trotzdem, Trompete (Sheila Maurice-Grey) und Flöte (Naïssam Jalal) waren zum Hinknien — und Drake ganz ebenso, solange er am Schlagzeug blieb. Und sowieso riß das letzte Stück alles wieder gehörig heraus, nicht zuletzt Joshua Abrams‚ höchst konzentriertem Baßsolos wegen. Allein deswegen hat sich Hamid Drakes Turiya denn doch noch gelohnt.
Zu dem ausgesprochen witzigen Hemphill Stringtet, das den Abend eingeleitet hat, schreibe ich Ihnen (und Ihnen dann eben nicht) in meiner Besprechung des Jazzfestes für → faustkultur, die ich formulieren aber erst will, nachdem ich auch heute abend im Festspielhaus gewesen sein werde, um die folgenden Konzerte zu hören, für die ich zwar keine Pressekarte, aber zwei Normalkarten habe, die mir Sabine Scho zugesendet hat. Ein schneller Dank an sie. Doch soviel noch, daß die Wahl dieses ersten Konzertes als Anfang des Festivals nicht nur ungewöhnlich, sondern insofern sogar mutig war, als es doch letztlich, wie immer nun auch improvisiert, ein „reines“ Kammerkozert“ war, wie wir es hätten ganz ebenso in der Kleinen Phliharmonie hören können und tatsächlich auch hören, sofern wir denn hingehn. Wonach das Publikum des Jazzfestes freilich nicht aussah, sondern genauso, wie sich das Klischee die Anhängerinnen und Anhänger (mehr Anhänger) exerimentellen Jazzes vorstellt; ein Klischee ist ja eben etwas, das so oft verwendet werden kann, daß man es gesondert nicht mehr zusammensetzen muß.[1]Das Wort stammt aus der Druckersprache. Jedenfalls waren die meisten Menschen so dort gekleidet, und ihr Altersschnitt mag bei 60 gelegen haben. Erstaunlicherweise liegt er in der Philharmonie mindestens zwanzig Jahre drunter; nicht anders in den Opernhäusern, je nachdem jedenfalls, was gespielt wird. So muß denn auch befürchtet werden, die Zeiten des Jazzes gingen mit dem Aussterben dieses Publikums (zu dem ich selbst höchst alterskongruent bin) ganz ebenso zuende:
Was nicht nur schad ums Publikum wär.
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Wie auch immer, eine kleine private Anmerkung noch. In meiner Pressemail hatte ich folgendes gelesen:
So etwas ist zu Premieren und Ersten Abenden üblich, ich kenn es aus den Opernhäusern. Und nicht selten kommt es da zu neuen Bekanntschaften und guten Gesprächen; man wird normalerweise auch begrüßt. Da ich zu keiner „Szene“ gehöre, auch nicht gehören will, sind mir solche Zusammenkünfte umso wichtiger. Und stapfte also hin, das heißt: ins obere Foyer, wo es sich vor Bornemanns Bar schon ordentlich verklumpte. Jede und jeder wollte seinen Wein. Nur brauchte man für ihn eine Getränkekarte, und über die verfügten nur, ich sage einmal, ausgesuchte „VIP“s. Von einer Einladung konnte also keine Rede sein, und eine solche gab es a u c h nicht. Kein „Hallo“, kein „Schön, daß Sie hier sind“, nix. Man stand halt nur herum, auch der Intendant, nett an einem Rundtisch in noch viel netterem Gespräch. Von Häppchen konnte erst recht die Rede nicht sein … wiewohl, doch, schon, aber gegen Bezahlung. Unterm Strich hätte in der Einladung deshalb stehen müssen: „Wir laden Sie ein, mit selbstgekauftem Getränk mit uns anzustoßen.“ Was den Begriff einer „Einladung“ nun restlich zerschießt. Aber gut, auch diese Häuser müssen sparen. Dennoch wollte ich’s genauer wissen. Und was stellt sich am Pressetisch heraus? „Tut mir leid, Getränkekarten bekommen nur die Kollegen von der ARD.“ Die in Lohn und Brot alle stehen, und recht feist, wie uns der RBB jüngst hat deutlich wissen lassen. So geht denn alles seinen, biermannverzeih, sozialistischen Gang: Wo schon was ist, da wird auch gern ins Glas gefüllt; wer nix hat, möcht gerne dürsten dürfen.
Imgrunde aber kam es mir entgegen; erstens kann ich meine Getränke auch selbst bezahlen und konnte zweitens meine Pfeife daußen rauchen- Bis schon die nächste Glocke all‘ uns hereinrief.
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References
↑1 | Das Wort stammt aus der Druckersprache. |
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