Allein intim zu zweit. Zu „Tandem‟ von Michael Wollny und Vincent Peirani.

[Geschrieben für Faustkultur und dort am 7. November 2022 →  erschienen.]

Tandem | © ACT

 

Welch eine Unsitte, die sich nicht nur eingeschliffen hat, sondern in den meisten Medien unterdessen ein geradezu Gesetz geworden ist – daß wir nur Musiken und Bücher rezensieren dürfen, die in dieser, sagen wir’s im Schulterschluß mit, „Saison‟ frisch auf den Markt gekommen sind. Alles andere gilt als vergangen, interessiert nicht mehr. Darf nicht weiter interessieren. Schon gar nicht im zum Beispiel Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der zwar einen im Grundgesetz festgeschriebenen Bildungsauftrag hat, aber Bildung wird nach alzheimerscher Kurzgedächtniskeit verstanden, weil ja Platz für neuer Produkte werden muß, wo sonst vorherige ihn umsatzlos verstopften. Doch schon, ein Buch, eine CD, eine Vinylplatte als Produkt zu begreifen, streicht die Seele aus der Kunst. Und so passiert schon mal, was mir passierte (und sehr, sehr möglicherweise schon oft so passiert ist).

Es war vor sechs Jahren, 2016 also, daß ich von ACT in der Hoffnung eine CD zugeschickt bekam, daß ich sie rezensierte; ich erinnere mich sogar, von mir aus um die Bemusterung gebeten zu haben. Nur gefällt mir nicht immer, was mich anfangs interessierte. Dann schweige ich in aller Regel; davor immerhin, Verrisse zu schreiben, nehm ich mich in acht. Und mau auf etwas hinzuweisen, um meine Pflicht und Schuldigkeit zu tun, wäre nicht nur wohlfeil, sondern nieder. So schwieg ich denn auch hier, vom Hineinhören, ich erinnere mich, nicht wirklich überzeugt.
Doch kennen Sie das nicht? Sie lesen ein Buch an, hören eine Musik – und finden nicht hinein? Irgendetwas fehlt Ihnen, stört sie vielleicht sogar. Jedenfalls landet das Ding in einer Ecke oder verstaubend im Regal. Indessen Jahre später …– Ich weiß nicht, was mich gestern trieb, diese CD wieder hervorzuziehen, doch ich folgte dem Impuls. Und es geschah, was mir eben auch mit manchen Büchern schon geschehen, für die ich vielleicht, als ich sie erstmals an- oder sogar ganz las, zu jung gewesen war, oder es hatte mir, um zu verstehen, diese oder jene Erfahrung gefehlt. Vielleicht hätte ich erstmal besessen – „bis Vernunft verbrennt‟ schreibt Aragon – lieben oder für lange Zeit einsam gewesen sein müssen, oder ich hatte noch nicht gewußt, was eine Depression, was schwere Krankheit, oder auch, was herzbegnadend Glück ist. Was auch immer, ein Unfall möglicherweise, sonst ein Schock oder eine Lebenserkenntnis … – plötzlich spricht das Buch zu uns, plötzlich rauscht die Musik durch uns hindurch und trägt uns hoch hinauf, und wir verstehen gar nicht mehr, wieso wir’s damals nicht empfanden …
So erging’s mir gestern mittag mit Michael Wollnys und Vincent Peiranis „tandem‟ genannten, über weite Strecken stillen, ja meditativen Improvisationen. Die beiden tasten sich aneinander heran, wir können sie aufeinander lauschen hören, in des andren, um es lächelnd zu sagen, Schifferklavier und dieses ins „richtige‟ Klavier hinein, um unversehens umeinander zu tanzen, sogar aufzubrechen und wirklich wild zu werden, nach zehn Minuten schon, in einem grandiosen Fandango zum Beispiel, dessen Thema von Björk stammt und dessen Rhythmik Peiranis Akkordeon geradezu perkussiv crescendierend vorantreibt, bis Rhythmik und Thema das Instrument einfach so, scheint es, wechseln. Im Akkordeon wird es unversehens freitonal, Wollnys Flügel ruft zur Ordnung, über die er zugleich hinwegimprovisiert. Kurzer Schlußakkord, Übergang in Wollnys „Bells‟ als geradezu impressionistische Klangskizze, die irgendwo am – klar, das Akkordeon – Seineufer spielen könnte, doch schon in Läufe hineinjagt, die sogar den Freejazz mitjubeln lassen. Dem Akkordeon eignet ja ohnedies, „Wohltemperiertheiten‟ gern mal konterkarieren zu wollen. Und es ziemlich gut zu können. Wir finden uns dann im freien Raum, der auch leicht banale Phrasen erlaubt, klitzekleine Sentimentalitäten, über die ich für sich genommen die Nase rümpfen würde. Hier aber sind sie Teil der Welt, zumal wir gewiß sein können, die nächste ironische Spielerei werde sie flugs unterlaufen („Did you say Rotenberg?‟ hat Peirani denn auch sein Stück betitelt, das fünfte der CD). Wobei beide, Peirani wie Wollny, eine Neigung zu gestischen Leitmotiven haben, oft nur sehr kurz angespielt, selten wirklich ausgeführt – und wenn doch, dann übers Improvisieren so aufgehoben, daß niemand auch nur auf den Gedanken kommen kann, hier feiere jemand sich selbst. (Man fühle sich dauernd am Ärmel gezupft, hat der verstimmte Adorno an Wagners Leitmotivtechnik gerügt.) Und sowieso sind die im Jazz gerne „Kompositionen‟ genannten Grundthemen ja doch insgesamt eher Gesten, aus denen die eigentliche Musik dann erst wird – hier, indem hier zweie musizieren, als ob sie leise plauderten, beide, wie versunken, vor sich hin. „tandem‟ ist deshalb eine – im guten Sinn „unheimlich‟ – intime CD, die Sie alleine für sich hören sollten oder mit der, dem nahst Vertrauten. Und bitte nicht sprechen, wenn Sie hören, sondern lauschen, lauschen, einfach nur lauschen. Sie störten sonst die beiden, und dann … dann hörten sie auf? — Bitte, bitte nicht. Bei mir nämlich läuft die Aufnahme nun zum bereits elften oder zwölften Mal. Ich kann nicht genug von ihr kriegen. Und hat sie nicht recht? Wenn sie sechs lange Jahre warten hat müssen und ich auch noch schuld daran war?

Tandem | © ACT
Michael Wollny
Vincent Peirani
tandem
ACT Music 2016
ACT 9825-2
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