[Arbeitswohnung, 10.13 Uhr
David Ramirer, → Variation auf Ricercar à sei voci, BWV 1079]
Es durchfuhr mich ein Schrecken, als ich gestern dieses Foto sah, das gestern nachmittag लक्ष्मी nach unserem Spaziergang von mir aufgenommen hat und mich – den damit inkludierten Größenwahn einmal beiseite – furchtbar an ein anderes erinnern ließ:
Mir war davon so unheimlich, daß ich Freunden die Bilder schickte. Meine Lektorin daraufhin: “ … unglaublich, Alban!“, Do: „Oha, das ist wirklich total frappierend!! Womöglich die langfristige, jetzt sichtbare Wirkung des unsichtbaren Unbewussten…“ und Benjamin Stein, um meinen Schrecken ironisch abzufedern: „Du bist immerhin zwanzig Jahre jünger.“ Auf den Punkt brachte es aber Hendrik Jackson: „Da sind tellurische Kräfte am Werk, die stärker sind als wir“ („würde Jünger sagen“, fügte er vorsichtig hinzu und daß solcherart Erklärungen psychologischen vorzuziehen seien).
Aber in der Tat, derselbe – bei Borges blinde – seltsam leere Blick bei exakt derselben Art von Lächeln. Als wäre, wie die Sídhe der Triestbriefe in die liebenden Frauen, etwas in mich hineingetaucht, um mich zumindest im Moment des Fotografiertwerdens (von dem ich nichts wußte) komplett auszufüllen, also übernommen zu haben:
Was wir also, sagt Otálora, an dieser bescheidenen Stelle leisten könnten – Demut gebührt ihr und uns vor dem Mann, den sie grüßt –, sei, dafür Sorge zu tragen, wo immer er seinen hundertsten Geburtstag heute begehe, er aus dem Labyrinth, in dem zweifellos wir uns noch befinden, vielleicht aber nicht mehr jene Gestalten zugegen sind, die sich früher Jorge Luis nannten, seinen alten Namen rufen höre: Borges. Die Rose, sagt Paracelsus, kann nicht vernichtet werden; in seiner Hand,auf ein Wort, ersteht die verbrannte aufs neue. Ehre sei DEm, der nicht stirbt.
ANH, Wölfinnen, Erzählungen II, Wien 2018
Sind nicht jetzt auch Sie, liebste Freundin, ein wenig erschrocken? Immerhin wird mich heute nachmittag die am Berliner Café heute Kyiv, sonst Moskau anhebende → Demonstration zum Ukrainekrieg auf einen zwar noch erschreckenderen, aber doch mit den Kriterien des Realen faßbaren Boden zurücksetzen. Bis zum Brandenburger Tor werden wir schreiten, an der Russischen Botschaft vorbei. Und Er dann, in mir, schreitet mit.
Ihr ANH
(Eigentlich eine gute Novellenidee: Gibt es Wiedergeburten in bereits lebenden Menschen – in sie hinein? Also kann ein Wiedergeborener in mir – oder irgendwem anders, der schon lange lebt – einen Platz finden? Und wie wirkt er dann hindurch? Wenn, dann wird es ein Amalgam aus mir selbst, mithin meinen eigenen Prägungen und Ansichten – oder wessen auch immer -, und dem Wiedergeborenen sein.)