Zurück. Am Arbeitsjournal des Montags, den 13. März 2023.

[Arbeitswohnung, 9.02 Uhr
France musique contemporaine:
Carl Craig, Darkness]
Es waren heftige drei Tage – nicht so sehr meiner Hochzeitsrede wegen, sondern vor allem in meiner Eigenschaft als „Runner“, als also jemand, der einspringen und sofort Lösungen finden muß, wenn etwas nicht so läuft wie vorgesehn, oder richten, wenn etwas schiefläuft. Diese Art Arbeit liegt mir, liegt mir sehr, schon weil ich sehr schnell Kontakt zu Personal und Dienstleistern finde und so Schulterschlüsse möglich werden, wo es sonst „Das geht nicht“ heißt. Mein Standardsatz: „‚Das geht nicht‘ gibt’s nicht.“ Und siehe immer wieder da, ich habe recht. Manchmal braucht es nur ein Lächeln.
Aber auch mich zu ärgern gab es Grund, etwa, daß jemand mir untersagen wollte, in meinen Pausen (so es sie denn gab) vor jeweils der Tür meine Pfeife zu rauchen. Wenn jemand meint, in mir einen Lakaien sehen zu müssen, ist von meiner Seite mit stolzester Arroganz zu rechnen wie etwa abermals einem meiner gleichsam stehenden Sätze, der sich in diesem Fall auch gut politisch lesen läßt: „Wer einen Jaguar E-Type fahren will, sollte auch mit links schalten können.“ Und zwar gerade, weil im Original das Steuer da rechts sitzt. Hin und wieder scheint vermögenden Leuten das zu entgehen. Aber sei’s drum, das Team, für das ich arbeite, und ich bekamen es letztliche — „es“ heißt „alles“ — bestens hin. Nur war ich am Freitag abend derart geschafft, daß ich bereits um 21.30 Uhr zu Bett ging, allerdings auch seit halb sechs auf den Beinen gewesen.
Interessant freilich, daß ich diesmal, trotz der etwas schwierigen Umstände, wegen meiner Traurede nicht mal einen Tuck nervös war; sei lief denn auch beinah perfekt; das „beinahe“ spielt auf zwei Versprecher an, die mir widerfuhren, und darauf, daß ich zur Zeremonie-selbst vergaß, den Brautleuten das Mikro zu reichen. Es kann dies aber auch ein, sozusagen, „freudsches Vergessen“ gewesen sein, weil das Ding, „rein“ festlich betrachtet ziemlich gestört hätte, indem aus der Wahrhaftigkeit von Absicht und gegenseitigem Versprechen Show geworden wäre. Da, was ich als Fomel vorsprach, über mein Headset übertragen wurde, waren die Sätze der beiden ohnedies klar.
Hernach dann purzelten immer wieder Anfragen in meinen imaginären Herumgehhut, ob ich nicht auch, wenn diese und jener heiraten würden, dort die Rede vielleicht übernähme. Mit einigen Gästen war ich bald schon fast verkumpelt. Das hat mir natürlich Freude gemacht.

Dennoch, geschafft war ich am zweiten Abend dann auch, als ich gegen halb Mitternacht zum Parkplatz stapfte, wo mein Mietwägelchen aber nicht anspringen wollte; nicht mal die Tür ließ sich mit dem Funkgeber öffnen. Da stand ich dann da mit all meinem Zeug in Rucksack und Anzug/Smokingtasche; ich hatte Glück, daß die beiden Fotografen und das Videoteam mich begleitet hatte und nun dabei halfen, in München SIXT zu alarmieren. Was gelang, aber ich sollte, bis Hilfe käme, eine Stunde, dann sogar zwei Stunden warten, einfach übel. Doch dann erreichte mich ein Anruf, man habe umdisponiert, der ADAC werde da in fünf Minuten sein. Nun gut, es wurden zehn, aber es war dann wirkliche Hilfe. Wobei — ein ganzer Abschlepplaster kam.
Den wir nicht brauchten. Denn wie ich’s mir gedacht hatte, aber nicht erklären konnte — der Herr Muhlack vom ADAC vermocht‘ es dann genauso wenig —, die Batterie war bis auf vier Volt leer. „Passiert immer wieder bei diesen vollelektronischen Autos. Sie machen sich gar keinen Begriff, wie viele Einsätze ich täglich deshalb fahre!“ Technischer Hintergund sei, daß sich, schaltet man solch einen Wagen aus, er dennoch im Standby verbleibe; da komme es dann schon mal vor, daß die immer darauf im Anstand sitzende Elektronik, jederzeit eingeschaltet zu werden, zwischendurch mal ziemlich Strom zieht. „Und was kann  man dagegen tun?“ „Nichts, leider nichts. Außer mich zu rufen.“
Ich solle jetzt besser mal einige Zeit herumfahren, damit die Batterie sich wieder fülle. „Wie weit weg wohnen Sie denn?“ „Fünf Minuten mit dem Wagen,“ „Na, dann drück ich mal die Daumen. Sonst sehen wir uns morgen früh schon wieder.“
Tolle Aussicht.
Aber der Wagen sprang morgens dann tatsächlich an, und abgesehen davon, daß ich einer riesigen Baumaßnahme wegen die A1 nur teilweise nutzen konnte, weshalb der Navigator mich einige Zeit über Bundesstraßen führte, war die Fahrt nach Hamburg, von wo ich den Zug nehmen wollte und nahm, völlig problemlos … ja, sogar schön. Wie viele Jahre lang war ich nicht mehr durch Nebel gefahren und wie oft vor Jahrzehnten immer mal wieder. Es war ein meditativer Erinnerungstrip und ich überdies zweieinhalb Stunden früher daheim in Berlin, als meine Planung vorgesehen hatte. Denn eben dieser Baustellen wegen war auch der eigentliche ICE sehr verspätet und meine Zugbindung aufgehoben worden. So konnte ich in Hamburg den ersten nehmen, der grad fuhr. Und wurde überdies von Emanuelle Haïms Dirigat des händelschen Frühoratoriums des Triumphes der Zeit und der Ernüchterung, begleitet, das in der Digitalen Konzerthalle der Berliner Philharmoniker live übertragen wurde, und zwar genau bis zu dem Moment, in dem ich die Tür der Arbeitswohnung aufschloß. Da ging’s mit dem Applaus los, dem ich lauschen nicht mehr mocht.
Nun bleibt mir die Erinnerung sowie, meine Schlußrechnung zu schreiben. Mein Konto wird sich freuen.

 

Freilich, daß ich bei alledem nicht zu meiner eigentlichen Arbeit kam, nämlich der Überarbeitung der Briefe nach Triest zur Zweiten Fassung, werden Sie, Freundin verstehen. Damit geht es heute nun los, bzw. weiter. Ein bißchen was getan hab ich dran ja schon:

[12.33 Uhr
Hans Werner Henze, Introduktion, Thema & Variation für Violoncello und Orchester]
Vorher aber waren soeben noch Fußpflege und Maniküre „dran“, beides nicht dringend, doch sowas darf es auch nie werden. Nur, habe ich meine Hände bis vor ein paar Wochen immer allein gepflegt, ist die Situation mit der Tattooerweiterung auf die rechte Hand eine andere geworden: Gepflegtheit muß jetzt bis in die Feilung der Nagelform zu Stil werden. Das hat tatsächlich ein bißchen gedauert; aber jetzt bin ich fast schon dort, wohin ich wollte. Nur wenn auch der stimmt, empfinde ich ein Handtattoo als ästhetisch legitimiert; überdies verhindert er falsche Schlüsse der Betrachterinnen und Betrachter — ganz wie ich 1986, als ich zum ersten Mal den Kopf kahlschor, nun unbedingt Anzug und Krawatte tragen mußte; außer mir gab es als Glatzenträger ja damals nur die Skinheads (als „intellektuelles Alibi“ freilich noch Foucault). Wobei dieses „unbedingt“ selbstverständlich zu einem großen Teil Selbstinszenierung ist und auch durchaus ironisch ge-, ecco!, -spielt … besser noch: ein Ritual, letztlich nämlich des Flanierens.

Wie auch immer, es wird, o Freundin, Zeit für die Arbeit.

Ihr ANH

1 thought on “Zurück. Am Arbeitsjournal des Montags, den 13. März 2023.

  1. Oh, Ostholstein 🙂
    „Das geht nicht’ gibt’s nicht.” Und siehe immer wieder da, ich habe recht. Manchmal braucht es nur ein Lächeln.“ Dein Lächeln Alban, kann alles richten!

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