Aus Bozen. Das Reisejournal des Donnerstags, den 13., und Freitag, den 14. Juli 2023.

[Zum Talfergries, Bozen, Terrasse
6.41 Uhr]

           Es war eine feine Anreise, gerade mit Skyalps, nämlich weil mit einer eleganten, geradezu schmucken Propellermaschine, die überdies  — bei acht- oder neunundzwanzig Passagieren (sollt‘ ich auch hier „und Passagierinnen“ schreiben?) – ausgesprochen unterbesetzt war — was zu einer, ich sage mal, „Aktion“ führte, wie ich sie nur vom Segeln kenne. Nämlich sollten sich alle-wir-uns, die, nun jà, „zuhauf“ im vordersten Teil der Maschine plaziert waren, umsetzen, und zwar über die möglichst gesamte Länge der Sitzreihen, „i posti dal undici al seidici, per favore“, um den Flieger nämlich auszubalancieren. Nachdem bereits zwei darum gebeten worden waren, die der Bitte eher unwillig nachgekommen, meldete ich mich ziemlich amüsiert von mir aus bereit und hätte nämlich gern die Reihe 13 für mich in Anspruch genommen. Die es aber nicht gab …
Nochmal kontrollieren, hm, wirklich: Reihe 12, gleich Reihe 14.
Wo denn bitte die 12 sei?
Lächelnde Stewardess: Die gebe es nicht, es wäre sonst …. Ach über das herbeschworene Übel!
Wie in NYC, mußte ich denken, wo den meisten Hochhäusern ein dreizehntes Stockwerk fehlt, egal ob’s dreißig davon gibt, will sagen neunundzwanzig. – Wie eigentlich freuenfeindlich solch ein Usus ist, scheint kaum wem klarzusein, nach wie vor vor. (Das matriarchale Jahr: 13 x 28, nämlich des Zyklus, Tage.)
Ich schwieg dezent, historisch-mythologisches Wissen ist halt kaum verbreitet. Lächeln freilich tat ich schon.
Leicht verspätet hoben wir ab; die Maschine war von Bozen nicht pünktlich gewesen; Markus Klammer, der Freund, hatte mich auch vrgewarnt: Gewitter über Südtirol. Zumal dann ein prächtiger Flug! vor allem, als es hinunter auf die Dolimiten und durch sie hindurch ging. Eineetemberaubend in der Tat prachtvolle Einflugschneise links und rechts der Felswände zur Lande- und Startbahn,  nur einer, im Tal.

          Herzlichste Begrüßung, aufs Gepäck war so gut wie nicht zu warten gewesen, das Gepäckband gleich hinterm Eingang links. In Berlin hatte es vor den zwei Schaltern 211/212 auch so gut wie keine Wartezeit gegeben, Bei Easyjet und Ryan, Sie wissen’s, Freundin, ist das anders. — Und schon im Auto zum Talfergries (der Name eines Flüßchens).
Als wär ich überhaupt nie weggewesen — zum ersten und bis vorgestern erstem Mal war ich 2019 nach der Innsbrucker Lesung hier —, verfingen wir uns sofort im Gespräch zu Markus Klammers Lebensthema Kunst; er ist Kulturschriftsteller, Forscher, Kurator. Schon saßen wir auf der quasi Terrasse, wo wir bis spät nachts auch sitzen blieben und schließlich drei Flaschen Weines leerten, auf diesem jedenfalls, einem ausgesprochen mediterran bepflanzten breiten, Balkon, unternahmen tags drauf (abends erst wäre mein erstes Treffen mit meiner Contessa und dem Team) eine kleine Tour mit dem Rad in die Stadt, auch, um Benno Simma zu begegnen, der Die Dschungel liest, Meere gelesen und sogar den sizilischen Landstrich besucht hat, der Fichtes Rückzugsort gewesen; eine Skizze habe er, Simma, davon angefertigt, ob ich mich erinnerte? er habe sie mir vor Jahren gemailt … Wie tat es mir im Herzen leid, mich daran nicht erinnern zu können! ich werde mein altes gmail-Konto durchsuchen. Seltsam für mich, so etwas hätte ich mir doch sofort ausgedruckt und gerahmt … —
Wie nun auch immer, auch hier auf Anhieb gute, gemeinsame, würd mein Sohn es nennen, „vibes“. — Wir verließen das Atelier, spazierten wenige Schritte zur Bar der nächsten Straßenecke, nahmen draußen unter den Sonnenschirmen Platz.

          Der Nachmittag verbrauchte dann etwas Zeit, um mir den Mietwagen zu organisieren; am Abend selbst durfte ich den Wagen des Freundes benutzen. Auch dies ein Freundes-/Vertrauensbeweis. Er übrigens, also der Freund, ist von den Béart-Gedichten gefangen, auch und obwohl ich seine Meinung in „Sachen“ Prosa nicht teile, daß die Zeit der großen Erzählungen vorüber sei; er parallelisiert seine – ausgesprochen durchdachte, also aus Wissen, Erfahrung und gedanklicher Durchdringung gewonnen – Ansicht mit der zu bildenden Kunstwerken. Von denen ich meinerseits zugegebenermaßen wenig verstehe, aber aufsauge, was mir erzählt, vor allem auch gezeigt wird. Die Wohnung hier ist mit einigen Originalen ausgestattet, nichts hier ist Replik. Und obwohl nicht wenige dieser Werke mit zu Bild gewordenen Wörtern arbeiten, ist gar nichts aufdringlich; sie lassen uns, dieser Wörter und Worte, mit uns und sich allein, so daß ein jeder Betrachter, jede Betrachterin den Zugang selber finden müssen.
Beeindruckend.
Aber der Mietwagen nun. Nicht, daß nicht sofort einer gefunden wäre — nur haben die Bolzaner Verleiher sämtlichst sonntags geschlossen, so daß sich mein Plan nicht umsetzen ließ, von Freitag- bis Sonntagmorgen einen zu buchen; der Sonntag muß selbst bei der Station am Flughafen immer dabeisein. Bizarr.
Doch stieß ich schließlich auf ein Angebot, daß sich dennoch rechnen ließ. (Die Alternative wäre gewesen, mich mit dem Taxi hoch aufs Schloß bringen und auch wieder abholen zu lassen; allein zu einem inakzeptablen Preis, 43 € pro Strecke; dafür konnte ich zwei Mietwagen kriegen.) Und gut, jetzt bin ich insgesamt recht beweglich.

           Am Abend also in den Volvo; es verstand sich von selbst, daß nunmehr, gestern, auf Alkohol verzichtet werden mußte; außerdem kannte ich das Auto nicht. Umso mehr Freude machte die Fahrt hinauf, vor allem, wenn es den Hang rauf durch enge Gassen und Single Track Roads geht, die sich zwischen den Hügeln enormer Wein- und Apfelpflanzungen, ja, –plantagen sowie die wenigen Dörfer derart winden, daß selbst der Google-Navigator aufgab und mich dreimal herumkurven ließ — bis ich ihn abstellte, von mir aus rückwärts setzte und dann nach Gefühl in ein Weglein einbog, das tatsächlich am sich dort, von der Serpentine aus nicht sichtbar breitenden Parkplatz des Schlosses endete; dieses hatte ich dauernd schon im Blick gehabt. Es ist mehr eine Burg, klassische Ritterburg, denn ein Schloß. Und hinreißend restauriert: mir ein bleibendes Rätsel, weshalb die Deutschen so etwas einfach nicht hinbekommen.

           Begrüßungen, Umarmungen, erste Ab- und Durchsprachen. Da ich nicht permanent eingebunden sein werde, hatte ich Zeit für eine erste Runde durch die vielen schmalen, auch verwirrenden Windungen der Gänge über Stein- und Holztreppchen in die verschiedenen Sälchen und auch mal Säle. Überrascht blieb ich vor dem Cranach stehen, Cranach dem Älteren, ein Original? Aber ohne Schutzvorkehrung? Ich würde Markus später fragen, ob es nicht doch eine Replik ist? Hab ich vergessen, indes das Bild geknipst.

 

Hier, o Freundin, ist es:

 

 

 

           Besprechung und gemeinsames Essen nun, danach noch einmal Besprechung gingen bis 22 Uhr, also für mich, den es „traf“, daß e r sein werde, der morgen abend, Sonnabend, bis zum Ende des Festes dableiben werde, um Sorge zu tragen, daß jede und jeder schließlich auch heim, zuerst einmal in den Shuttle finde. Es kann also spät werden, was „früh“ meint, sehr sehr früh … Mir selbst aber würde ein Fahrer zur Verfügung gestellt, der mich in dem Mietwagen hierher zurückfahren werde, damit ich nicht noch mich selbst, restlos übermüdet gewiß, selbst hinter das Lenkrad setzen müsse.
Doch nun erst mal tatsächlich eifenfahrend zurück, diesmal, ohne daß der Navigator ausstieg. Im Nu war ich am Tafelgries wieder und bekam dort doch noch (m)einen Wein.
Der Freund ging aber zeitig zu Bett, ich blieb noch auf der Terrasse und sann.

          Um kurz vor neun wird Markus mich zur Vermietstation fahren, dann geht es wieder hinauf, aber heute wohl bis in den frühen Abend nur. Ich freue mich drauf, „mein“ Paar zu sehen; die Rede halte ich freilich erst morgen, und zwar im Burghof, hinreißend, um vier.

          Soweit erstmal,
          Ihr ANH

P.S:
Ich muß Ihnen unbedingt noch von meinem Großvater, väterlicherseits, erzählen, der hier in  der Gegend einen Großteil seines späteren Lebens verbracht hat. Doch hat’s nun nicht mehr die Zeit. Seien Sie versichert, daß ich es nachholen werde. Eine wahrlich bizarre Geschichte und durchaus erschreckend, wenn auch nicht ohne peinliche Komik, weil politisch hochgradig unangenehm.

***

[Auf der Burg
12.23 Uhr]

Schrieb ich vorhin „Aber der Mietwagen nun“? Tat ich — und ruf es nun aus: „Aber der Mietwagen nun!“
Klar, daß es am Flughafen etwas Chaos gab, und nach den Formalitäten fand ich den Leihwagen nicht, „links runtergehen, dann hinterer Parkplatz“. Nun jà, dort stand er nicht. Doch auch wenn er’s ge,nun jà,“tan“ hätte, ist zweifelhaft, daß ich ihn erkannt hätte. Angekündig worden war mir ein Fiat Panda, vielleicht auch, mit Glück, mein geliebter Cinquecento. Und dann war es solch ein Geschoß, noch keine 500 km auf dem Tachozähler:

 

Gestern der große Volvo, nun noch eine Nummer größer — bei den schmalen Straßen im Weinhügelland ein prima Training für das, was ab Wien warten wird auf mich. Und zwar eigentlich mag ich keine SUVs, aber das Ding, wenngleiches eigentlich erst eingefahren werden müßte, schnurrt wie ein Panther und geht auch so ab. Es zu fahren, macht wirklich Spaß, auch wenn ich mich erstmal in die Elektronik einfuchsen mußte: Hier geht gar nichts mehr mechanisch, nicht mal die Handbremse.
Wie es dazu kam, daß man mir für den wirklich niedrigen Preis solch ein Raubtier gab, kann ich nur erraten. Die beiden Jungs am Dollar-Schalter schienen von mir einen entsprechenden Eindruck zu haben; und vielleicht haben sie gedacht, das Ding ist brandneu, da soll jemand ran, im die Sporen zu geben.

Leicht verspätet kam ich am  Schloß gerade zur ersten Besprechung mit der Hotelleiterin und ihrer Crew an, insofern also dennoch pünktlich. Jetzt ist Mittagspause, und ich konnte ergänzen, vor allem aber auch den Text von heute früh korrigieren. Was durchaus nötig war.

***

 

 

 

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