Verlangsamt. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, den 6. September 2023.

[Arbeitswohnung, 10.40 Uhr
Berlioz, Bevenuto Cellini (Colin Davis)]

          War und bin noch immer etwas frustriert; muß → das Training wohl eine Woche lang ruhen lassen: leichte Sehnenentzündung im linken Ellbogen. Wahrscheinlich war ich zu aufmüpfig mit der Armhantel. Zwar lindert das Hydroxyethylsalicat-Gel die Beschwerden, dessen Tube seit allerdings Jahren bei mir im Arzneifach liegt, doch ums Ruhigstellen komme ich erfahrungsgemäß nicht herum. Dabei lief es schon derart gut, der Zuwachs war nicht nur meß-, sondern auch schon sichtbar. Und also habe ich gestern abend nach Abbruch blöderweise d o c h noch eines Trainingsversuchs wohl deutlich zu tief ins Weinglas geguckt, wachte erst um halb acht auf, sitze noch immer im Morgenmantel am Schreibtisch und bin selbst beim Tippen langsam; gefrühstückt hab ich auch noch nix. Dabei haben wir solch ein schönes Wetter — für nicht nur das ich eigentlich mit Benjamin Stein am Ku’damm verabredet war; er hat indessen absagen müssen, so daß wir uns jetzt erst Freitag treffen werden. Allerdings soll die Sonne auch da noch, sogar heftig, scheinen. Und immerhin war ich in den vergangenen Tagen ziemlich produktiv, sowohl in den ersten Versuchen, die Lieder für → das Konzert am 11. Oktober zu übersetzen, Sie werden’s, Frendin, hier in Der Dschungel gesehen haben. Sondern auch die ziemlich ausführliche Besprechung → der grandiosen Berliozoper habe ich fertigbekommen und anFaust geschickt; jetzt warte ich auf Bernd Leukerts, des Redakteurs, Lektorat, das stets präzise ist. Auch hat er mir durchaus schon mal etwas abgelehnt, schmerzlicherweise eine längere Betrachtung des Rosenkavaliers. Daß ich’s ihm leise lange nachtrug, immerhin, ist unterdessen Schnee von gestern; „behalten“ aber hab ich’s, doch seh das als narzisstische Macke: Hübsch, daß das gleich nächste Housman-Gedicht Narzissus sich zum Thema macht, das ich mir nachher vornehmen will.
Übrigens teilte mir Sabine Scho gestern eine hilfreiche Beobachtung mit: Das Englisch dieses 1896 erschienenen Gedichts wirke, abgesehen von Strophe und Reim, alltagssprachlicher als mein Übersetzungsversuch. Offenbar hätten die englischen Texte im 19. Jahrhundert schon eher wie heutige geklungen. Ich meinerseits empfinde es so nicht, werde aber nach mehr „modernen“ Wörtern suchen, vielleicht sogar heutige Jugendsprache hineinmischen. Auch bin ich mir noch nicht sicher, ob ich die Reime beibehalte; um Metrik und Silbigkeit komme ich selbstverständlich nicht herum: Die deutschen Texte sollen unbedingt den Notenwerten der Vertonungen entsprechen, deren Partituren fast schon alle bei mir liegen; mir fehlt nur noch der Gurney. Und auch mit John Parr, der den Liederabend organisiert und den Klavierpart übernehmen wird, hab ich mich schon zu einer Vorbesprechung getroffen, am Freitagabend (1.9.) vor dem Berlioz. Wir haben schon mal grob den Ablaufplan entworfen. Da war er noch in Ordnung, mein Ellbogen. Echt, nervt. (Immer noch im Morgenmantel, um unterdessen 11 Uhr 27 …)

          Dann war da noch → die Sprechaufnahme im Hauptstadtstudio der ARD, worauf im Anschluß ich eigentlich gleich ein Arbeitsjournal hatte schreiben wollen. Verzeihn Sie, Freundin, mir; ich kam einfach nicht dazu, weil ich bis zum 1. September auch noch an der → Mallwitz-Erzählung saß, die Sie unterdessen, hoff ich, auch schon gelesen haben werden; falls nicht, bitte tun Sie’s noch. Morgen abend werde ich die eindrucksvolle Frau erneut leben, diesmal in Begleitung meines Sohnes. Und darüber, über sie, nicht ihn, abermals schreiben — mein erster Auftrag der Jungen Welt. Habe in der Redaktion nachgefragt, bis wann mein Artikel dortliegen müsse, möglicherweise ja noch in derselben Nacht. Womit ich, der Tagmensch, dann erst mal klarkommen müßte. Aber, ausgerechnet die Junge Welt! Vorsichtshalber habe ich per Mail gleich mitgeteilt, daß ich nun wirklich kein Marxist sei; der Redakteur, Peter Merg, nahm mein, sagen wir, Bekenntnis, gelassen mit Grandezza auf. Was mich darin bestärkte, für das Blatt zu schreiben; ich m a g Zeitungen, die auch sehr verschiedene Positionen vertreten lassen; in Kunstbelangen empfinde ich mich längst, Sie lesen’s ja, als ein Konservativer („konservativer Anarchist“ dürfte allerdings die treffendste Bezeichnung sein; ich fühl mich jedenfall wohl mit ihr).

          Na gut, sollte mich aber endlich mal anziehen.

Ihr ANH
12.18 Uhr

 

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[12.31 Uhr]

           Und soeben ruft Leukert mich an und hat überhaupt keine Einwände. Klasse. Nur an die Pressefotos kommt er nicht, die kann offenbar nur ich herunterladen, als beim Musikfest Akkreditierter. Dann b l e i b ich halt noch im Morgenmantel …

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