[Beitragsbild: → EvaK
(ANH-bearbeitet)]
[Interessant dabei, daß d’Arrigo, ganz wie ich mit einerseits → dem Krebs,
andererseits → dem Unheil tat[1]mit Der Dschungel auch, aber hier steht
die Dschungel für Leben; ANH, das Geschlecht des Tödes verändert,
ihn zur Frau macht und möglicherweise aus demselben Grund: weil sich
mit ihm dann flirten läßt, nunmehr also mir ihr. Eine, denke ich, auch
bei ihm, d’Arrigo, deutliche heterosexuelle Dynamik, „cis“-Dynamik, wenn
Sie, Freundin, so wollen. Flirten wir, nähern wir uns an, und zwar nicht aggressiv, so daß sich ein poetiaches Verständnis aufzubauen beginnt, eine Empathie entsteht, die uns begreifen läßt oder uns vorspielt, daß wir begreifen oder es doch könnten. In jedem Fall nimmt es uns spürbar die Angst.
ANH, 2. Oktober 2023
Einsame, erschreckende, stürmende Stromerin durch Ozeane und Meere: auf eine Meile Entfernung stinkt sie schon, ihr eilt der Schrecken voraus, ihr folgt Wüste und Zerstörung nach. Jedes anderes Wesen, wie wild es auch sei, ist schutzlos und erblasst vor ihr: Selbst und gar noch vor jedem anderen und schlimmer als jedes andere Wesen ist der Gigant des Meeres, der Wal, dazu bestimmt, unter großen Martern durch ihre Hand zu sterben, und hierbei ist nicht nur die Tatsache von Gewicht, dass die Orca den Tod bringt, sondern auch die Tatsache, dass zum Verderben des Wals die Orca ganz erpicht ist auf seine Zunge. Für diesen Happen nach ihrem Geschmack greift die Orca den Giganten an, zerreißt ihn, zerfleischt ihn, vierteilt ihn und lässt ihn verbluten, Vierteil um Vierteil von Tonnen von Speck, bis sie das Skelett freigelegt hat, und wenn dann dieser zahnlose Koloss hechelt und die Öffnung zum Tunnel mit den langen Knochenhebeln aufreißt, die sich zu beiden Seiten strahlenförmig weiten, taucht die Orca vor ihm auf, tut so, als wollte sie ihn aus dem Stand küssen, reißt ihm dann blitzschnell die Zunge heraus, die sicher nicht tonnenschwer ist, aber doch Zentner wiegt, einige Zentner.
Und das ist sozusagen ihre einzige Schwäche, das einzige Mal, bei dem das Töten nicht Selbstzweck der Orca ist, sondern die Ausnahme, die jene schwarze Regel bestätigt, denn ansonsten hat die Orca weder Wunschvorstellungen noch irgendwelche Grillen, weder Eigentümlichkeiten noch neumodische Verhaltensweisen, weder Ablenkungen noch Charakterveränderungen, weder Verschlechterungen noch Verbesserungen ihrer Laune, eigentlich so, wie wenn sie überhaupt nicht aus Fleisch und Blut wäre, sie ist taub, blind und unempfänglich gegen alles, ausgenommen das Töten. Sie lebt, um den Tod zu geben, eigens dafür wurde sie erschaffen, und so wie ihr Innerstes unsichtbar ist, entspricht ihr sichtbares Äußeres auf verblüffende Weise dem Zweck. Sie ist es, die tötet und vernichtet, und das ergibt sich beim ersten Hinsehen aus ihrer Veranlagung, genau so wie ein Panzerkreuzer oder ein oder ein Unterseeboot sind, was sie sind: Sie sollen zerstören und den Tod bringen.
Ein Koloss von einem Körper, um die fünfzehn Meter lang und einige Tonnen schwer, von fetter Haut, die dampft wie erkaltende Lava und schwitzt so gemeine Düfte aus, dass man meint, alle seine Funktionen würde er mittels Ausschwitzen durch die Poren seiner Haut erledigen; eine Körperform wie ein riesenhafter Torpedo, von ungeheuerlicher, schreckenerregender Düsternis; eine geschlossene, undurchdringliche Form, eine leichenartige Färbung von warmem, schimmerndem Schwarz, der Kopf mit dem Knochen aus zwei Öffnungen des Atemlochs, das sich da befindet, wo der Hals hätte sein sollen, er ist mit dem Rest zu einem Ganzen verleibt, eine miteinander verschmolzene Einheit, alarmierend, unentzifferbar und Schauder hervorrufend, etwas, das man von weitem für ein geheimnisvolles Todeswerkzeug halten könnte, wie eine Art lebendiges[2][Korrekturfehler im Buch;ANH][r] und dauernd herumirrender Torpedo.
Stefano D’Arrigo. Horcynus Orca, Roman (Seite 838-837: S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, dtsch. von Moshe Kahn | Kindle-Positionen 53372-13393)
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