[Arbeitswohnung, 12.5 Uhr
Cincia Dato, Klavier-Rezital CD2 Schumann, Skrjabin, Prokofiev]
Der Callas-Artikel wird erst morgen erscheinen, in der Wochendendausgabe der Jungen Welt, was bei der Länge des Textes auch sinnvoll ist. Andererseits war ich vom Freitag ausgegangen, weil der Start des remasterten Films „Callas Paris 1958“ für Sonnabend angekündigt werden sollte, was für denselben Tag einigermaßen unüblich ist. Doch immerhin hat sich meine Besorgtheit zerschlagen, von der ich Ihnen → gestern so bedenkenvoll erzählt habe. „Herzmerci für den schönen Text!“ schrieb mir der Redakteur nach seiner Lektüre und hatte nur zwei stilistische Einwände, nämlich dort, wo in der Tat der Satz ein wenig reichlich verknorpelt war. Ansonsten mache es Spaß, diesen Artikel zu lesen — „der Liebe und Sachkenntnis“ wegen. Letztere, als ich ihn zu schreiben begann, habe ich noch gar nicht gehabt, nicht in Hinsicht auf Callas, und deshalb auch so lange gebraucht.
Nun jedenfalls konnte ich mich beruhigt auf den Weg zur Volksbühne begeben, was ich spazierengehend tat. Zu märchenhaft die verschneiten, teils vereisten Straßen den Prenzlauer Berg hindurch und hinab; selbst das Dunkel des Abends war vor Gefunkel geradezu hell, und vom schimmernden Glanze des Schnees. Ich schrieb’s ja schon, daß mir die Kälte derzeit gefalle.
Viel zu früh kam ich an. Googlemaps hatte dreiunddreißig Gehminuten errechnet, ich brauchte nur zwanzig und zwei, hatte also Zeit und guckte mir extrem schlechte Kunst durch die Schaufenster zweier benachbarter Galerien an und blieb dann vor einer der Bronzeleisten stehen, die auf dem Rosa-Luxemburg-Platz weit sternstrahlartig ins Trottoir eingelassen sind. Sie sei allen „Hamasverstehern“ ins Poesiealbum gestanzt, vor allem den „linken“, weil deren Herz für so etwas vielleicht doch noch etwas Platz hat; das der Rechten ist ein, wie ihr eigentlicher, Schrumpfkopf:
„Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors,
sie haßt und verabscheut den Menschenmord.“[1]Luxemburgs gesamter Text → dort.
Dazu die Nachricht, daß der Verleger Ernst Piper aus „meinem“ PEN Berlin ausgetreten ist. Sie erreichte mich grad eben. Der Mann möge mir die Urheberrechtsverletzung verzeihen, doch hier sein Brief:
Er ist nicht der einzige, der diesen Schritt ganz sicher lange erwogen hat; auch ein mir sehr wichtiger Freund und Kollege tut es; ich versuche alles, ihn davon abzuhalten. Austreten und sich stumm zurückzuziehen, hat noch niemals etwas geholfen. Der PEN Berlin ist ein in gutem Sinn utopisches Unternehmen, für das es sich zu kämpfen lohnt. Genau das werde ich tun am 16. Dezember ab 13 Uhr. Und auch danach. So lange es sein muß.
Da aber, als ich zwischen den Säulen noch vor den Pforten stand, schritt Benjamin Stein heran. Wir rauchten jeder noch einen schmalen Cigarillo, dann ging’s hinein, und die Veranstaltung begann — erstmal mit einer Klezmermusik, bei der ich mal wieder nicht kapierte, weshalb ein Akkordeon, vor allem aber die Trompete elektrisch verstärkt und so rundum durch die Lautsprecher gejagt werden muß, daß besonders die Bässe des hier nun wirklich „Schifferklaviers“ die Sangesstimme immer wieder komplett überlagerten. Wozu dieser Unfug, wenn die Instrumente-selbst doch wirklich laut genug sind? Nur, um mächtig Lärm zu machen oder weil die Ohren der meist jungen Leute vom Techno längst schon geschädigt sind? Mich törnt sowas ab; matschige Musik läßt auch die Gedanken zermatschen. Übrig bleibt der Einheitsbrei, zwar hier auf der politisch richtigen und als Statement wichtigen Seite, Gemeinschaftssoße aber dennoch. Und aber dann die Texte! Die klügeren und besseren Autoren lasen, schon aus Pietät gegenüber den Ermordeten, nicht eigene, sondern gut gewählte fremde. Von denen, die sich für eigene entschieden hatten, waren denn auch die wenigsten auch nur entfernt akzeptabel, ich meine künstlerisch. Immerhin hatte sich die Jelinek aus Wien zuschalten lassen,→ ge-, ecco!, textet hat sie aber restlos verschwurbelt.[2]„Kein Zusammen mehr. Jetzt wird nur noch geschossen. Und wie die Nazis beim Einmarsch in Polen, so sagt die Hamas zu ihrem Schießen, Massakrieren, Vergewaltigen, Foltern, sie sagt, es werde … Continue reading Anders war das freilich auch nicht zu erwarten.
Stein rutschte entnervt hin und her, ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Wer hatte die Vortragenden ausgesucht, nach welchen Kriterien? Nach poetischen ganz sicher nicht, nach Bekannheit aber auch nicht; dazu spreizten sich z u viele NoNames auf der Bühne, nicht selten ziemlich peinlich. Eine Dramaturgie gab’s erst recht nicht, die sich so nennen hätte lassen, geschweige daß die Autorinnen und Autoren vorher geprobt hätten, wie man’s vor Auftritten tut. So dass ich doch recht froh war, nicht meinerseits gefragt zu haben, ob ich zu diesem Anlaß mit auf der Bühne lesen könne. Was ich, um meine Haltung zu bekunden, eigentlich gern getan hätte. Freilich gab es zwischendurch auch mal einen Lichtblick, einfach menschlich einen persönlichen Vortrag wie den des grad aus Israel rückgekehrten ZDF-Journalisten, der Kunst gar nicht im Sinn hatte, „bloß“ Dokumentation und seine Liebe dort zu den Freunden.
Doch auch, wenn obendrein völlig unklar blieb, was all die rückprojezierten Fotografien mit dem Thema zu tun hatten, war es wichtig, auf der Veranstaltung dabei zu sein — einfach, um Präsenz zu zeigen. Denn, ob nun große Künstler, Mittelmaß oder kleine, in Anliegen, Erschrecken, Trauer und Wut waren wir vereint und zeigten sie als Geschlossenheit. Und vergessen wir nicht: Auch große Künstlerinnen und Künstler können, und sind es gar nicht selten, entsetzliche Arschlöcher sein, die rassistisch bis ins Mark sind. Beklemmend führte es uns der erste Vortrag einer Schauspielerin des Hauses vor — ich bitte um Verzeihung, daß ich ihren Namen nicht kenne, geschweige sie selbst —, nämlich mit Verlesen eines Briefes Arnold Schönbergs, der gegenüber Wasilly Kandinsky, was zu deren beider Zeit geschah, auch für die unsre gültig machte. Neben Terezia Moras Auszügen aus Zoltán Danyis von ihr übersetztem → Rosenroman war es dies mit Abstand beste Text des Abends. Dafür allein hat sich der Abend gelohnt.
Ihr
ANH, 16.41 Uhr
[Jo Barthelmes Hipnosis, → pasíon y muerte]
References
↑1 | Luxemburgs gesamter Text → dort. |
---|---|
↑2 | „Kein Zusammen mehr. Jetzt wird nur noch geschossen. Und wie die Nazis beim Einmarsch in Polen, so sagt die Hamas zu ihrem Schießen, Massakrieren, Vergewaltigen, Foltern, sie sagt, es werde (natürlich pünktlich) zurückgeschossen auf etwas, das (noch) gar nicht geschossen hat. Dieses Andere, das jetzt unwiderruflich, da man nie etwas andres als seine Zerstörung im Sinn hatte, dieses Andre also, das eigentlich sagen will, es bestehe irgendeine mitmenschliche Nachbarschaft zwischen dem Angreifer in seiner Vernichtungswut und dem Angegriffenen, der diese Vernichtungswut gegenüber dem Einen, dem Angreifer, eben nicht hat (das ist eben der fundamentale Unterschied zwischen den beiden), diese bedingungslose Zerstörungwut einer Terrorbande gegen einen, den einzigen demokratischen Staat in der Region, löscht nicht diesen angegriffenen Staat, sondern vielmehr seine Angreifer aus. Die Hamas hat sich mit diesem Verbrechen ein für allemal selbst zerstört. Die Geiselnahme auch der unschuldigen Palästinenser auf ihrem überfüllten Landstreifen, für deren Befreiung (auf Kosten der Zerstörung eines ganzen Landes) die Terroristen zu kämpfen behaupten, nimmt ihnen alles, was sie jemals erreichen könnten.“ Elfriede Jelinek, Kein Einer und kein Andrer mehr, ganz zu lesen → dort. |