K e i n schöner Weihnachtspost: Kündigung der Zusammenarbeit. An die Junge Welt.

 

 

Lieber ***, lieber ***,
es ist kein guter Weihnachtsgruß, aber nach dem Aufmacher, S. 1., der Weihnachtsausgabe Eurer Zeitung kann, will und darf ich für die Junge Welt nicht mehr schreiben und ziehe hiermit auch meine noch nicht veröffentlichte Rezension des letzten Romans von Sabine Gruber zurück; ich werde den Text an Faustkultur geben.
Der Aufmacher, den ich meine – ein Foto anbei[1]Die Unterschrift der Fotomontage lautet: „Vor Kriegsspielzeug kann sich Wolodimir Selenskij kaum retten, nur geht es ständig kaputt“ –, ist auf das hämischste unmenschlich; mag wer auch sagen, es sei doch „nur eine Karikatur“, so verspottet sie nicht nur Selenskij, sondern auf ekelhafteste Weise sowohl die nach neuesten Schätzungen Hunderttausenden ukrainischen Soldatinnen und Soldaten, die für die Verteidigung ihrer Freiheit ihr Leben geben oder verstümmelt und sonstwie geschädigt werden, als auch die nicht minder, sondern die eher noch höher bezifferten russischen Menschen, die von Putin und seinen ebenso faschistoiden, wenn nicht direkt faschistischen wie in jedem Fall mafiosen Kumpanen als Kanonenfutter in diese Schlachten geworfen werden und in ihnen  zugrunde gehen. Die Zeitung steht damit nicht etwa „auf der Seite“ Rußlands, sondern auf der einer imperialistischen Diktatur.  Damit werde ich mich nicht handgemein machen.
Ihr habt mir ein sowohl musik- wie literaturästhetisches tolles Forum bereitgestellt, das zu, sagen wir, „bespielen“ mir Freude gemacht hat. Sogar etwas Geld habe ich mit ihm mir verdienen können. Seit Heiligabend ist diese Freude sauer geworden wie zu lange offen stehende Milch, zumal ich mich nun bei S. Fischer werde entschuldigen müssen, zugelassen zu haben, daß meine Besprechung des großen und eben, anders als der Tenor Eurer Zeitung, menschlichen Romans von d’Arrigo und Kahn in einen solchen Zusammenhang gestellt werden konnte – wie gut auch immer sie von Euch plaziert worden ist.
Redaktionell betreut worden bin ich von Euch beiden sehr gut – anders, als ich es anderswo erlebt habe; es war eine angenehme, weil kluge und freundschaftliche Zusammenarbeit, dafür sage ich danke. Doch neben dem politisch moralischen Aspekt wäre es tief korrupt von mir, trüge auch ich mit, was Ihr als angestellte Redakteure mit halt tragt, und sei es „nur“ als intellektuelles, sagen wir, Feigenblatt. Und ja: Ein Aufmacher wie der Eurer Weihnachtsausgabe gehört zur freien Meinungsäußerung, eine Demokratie muß auch Ekelhaftes wie diese sich als Witz maskierte Karikatur aushalten können, darf es nicht etwa verbieten. Doch sollte an solchem nicht teilhaben, wer auf sich hält, sondern scharf dagegenhalten. Täte ich dies nicht, sondern schriebe statt dessen für die Junge Welt weiter, würde ich mich moralisch wie ethisch mitschuldig machen – vor meinen Leserinnen und Lesern, vor allem aber gegenüber meiner eigenen Literatur und damit mir selbst. Um von den Opfern ganz zu schweigen, auf deren Kosten ein solcher Aufmacher geht.

Alban




 

References

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1 Die Unterschrift der Fotomontage lautet: „Vor Kriegsspielzeug kann sich Wolodimir Selenskij kaum retten, nur geht es ständig kaputt“

5 thoughts on “K e i n schöner Weihnachtspost: Kündigung der Zusammenarbeit. An die Junge Welt.

  1. Ich nehme an, Sie hatten vorher nie einen Artikel in der JW zur Ukraine-Invasion gelesen? Zehn Sekunden Google bietet eine deutliche Tendenz (die Teaser reichen):

    https://www.jungewelt.de/artikel/464121.kiews-pflicht-zum-tod.html
    https://www.jungewelt.de/artikel/461737.krieg-in-der-ukraine-augen-zu-vor-kiews-nazis.html
    https://www.jungewelt.de/artikel/463177.krieg-in-osteuropa-mal-eben-zehn-milliarden.html
    https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/454356.ukraine-krieg-warum-der-krieg-weitergeht.html

    Das Blatt ist Putins Vorposten. In etwa so überraschend wie Weihnachten am 24.12.

    Eine solche Karikatur ist nur die Essenz. In einem solchen Drecksblatt würde ich nicht einmal meine Todesanzeige gedruckt sehen wollen.

    1. Für Sie. Für mich war’s, Herr Keuschnig, anders. Ich war anfangs sogar erleichtert, weil ich die Junge Welt mit der Jungen Freiheit verwechselte, was, ich wie jetzt erst bemerke, sehr offenbar ein guter Instinkt meines Geistes gewesen, sich aber mein Irrtum schnell klarstellte und gute Freunde mir auch zuredeten, es auszuprobieren, und ich, wie Sie >>>> längst hätten lesen können, täten Sie es hier denn noch, nach einem Gespräch mit dem Redakteur durchaus beruhigt war. Tatsächlich hat er auch, in meinem Callas Artikel, eine Attacke von mir auf den russischen Angriffskrieg „unbeanstandet“ stehen lassen. Verschiedene, sogar extrem verschiedene politische (und auch ästhetische) Ansichten gleichzeitig in einer Zeitung finde ich begrüßenswert. Doch das, was Sie „Essenz“ nennen, übertritt, eben weil es Essenz offenbar i s t, jegliche menschliche Regel. Das habe ich nun gelernt und meine Konsequenz daraus gezogen.

      Aufgrund der, wie Sie ebenfalls d a s nennen, „Tendenz“, die eine Zeitung als Eindruck gibt, nicht für sie zu schreiben, ist mir zu wenig – sofern sie andere „Tendenzen“ eben zuläßt und nicht, wie jetzt geschehen, mit Häme die Opfer verhöhnt. Daß auch ich Selenskij höchst skeptisch gegenüberstehe (aber nicht gegenüber der Verteidung der Ukraine und o h n e ihn zu verhöhnen) und ein Gegner davon bin, sie in die EU aufzunehmen (wir hätten sonst ein nächstes Ungarn-Problem), ist etwas anderes. In die NATO allerdings sollte sie – nach diesem ruchlosen Angriffskrieg Putins und seiner mafiosen Killerkumpane.

      Allerdings hat sicherlich, das muß ich zugeben, bei meiner Enscheidung vor zweidrei Monaten, für eine „marxistische“ Zeitung über Literatur und Musik zu schreiben, eine Rolle gespielt, daß die „bürgerlichen“ Medien mich blocken, auch mobben, mir jedenfalls kein Forum geben; d a forciert kunstästhetische Positionen in dem Blatt zu beziehen, nicht nur moralische, fand ich sehr reizvoll. Ein paar Momente dachte ich sogar, vielleicht könne ich in der Jungen Welt ein nächstes Feuilleton kreieren, wie es der WELT – eben auch da gegen ihre politische „Tendenz“ – mit, in der Nachfolge Willy Haas‘, Kämmerlings Literarischer Welt gelang. Naiv von mir, wie ich nun weiß.

      1. Die JW ist im klassischen Sinne genau wie die JF mehr als nur ein Tendenzblatt. JW/JF sind Antipoden; beide sind politisch nicht satisfaktionsfähig. Gelegentliche Feigenblätter – insbesondere in ästhetisch dominierten Ressorts – ändern daran nichts. In der „Welt“ findet Pluralismus statt, selbst in der „FAZ“ finden sich neben dummen Texten bspw. zu Handke auch gute. Das kann man aushalten oder ausblenden. Meine Feuilletonlektüre ist längst eng personalisiert (würde ich nicht Prioritäten setzen, käme ich nicht mehr zum Lesen von Literatur).

        Über die politischen Implikationen und eben auch Selenskij lässt sich trefflich streiten. Ich bin ebenfalls gegen eine EU-Mitgliedschaft, aber auch gegen einen (fern liegenden) NATO-Beitritt der Ukraine. Die inflationäre Aufnahme osteuropäischer Länder in die EU hat nur funktioniert, weil dort in den 1990er Jahren vernünftige Akteure die Politik gestalteten. Polen, Slowakei und Ungarn zeigen nun, dass das sich ändern kann. Bei einer Ukraine in der NATO würde irgendwann das Erdogan-Problem drohen. Die Aussichten auf eine Mitgliedschaft entlastet den Westen nur immer weiter von handfesten militärpolitischen Entscheidungen. Mit dem Papier des potentiellen Aufnahmeantrags lassen sich die Russen eben nicht vertreiben.

        Ihren Boykott sehe ich ambivalent. Solange in Ihren Texten nicht herummanipuliert wird (warum macht in einem Callas-Text eine Anspielung auf Russland?), fände ich eine Veröffentlichung dort nach wie vor „rechtens“ (es ist kein Heldenstück, auf Honorare zu verzichten). Dies eben, weil sich an der Stoßrichtung des Blattes nichts geändert hat und Sie auch nichts ändern werden.

  2. Lieber Alban für Ihre HALTUNG. Sich nicht gemein machen, das nötigt mir Respekt ab. Ich ziehe (m)einen Hut.
    Ihre Karin.

  3. Andere Meinungen aushalten zu können scheint mir geradezu die Kardinaltugend eines Demokraten. Einerseits. Andererseits sollte man sich von solchen Geschmacklosigkeiten natürlich distanzieren. Ihre Entscheidung ist insofern absolut nachvollziehbar und verdient Respekt – zumal da zwischen den „Dschungel“-Zeilen stand, wie viel Spaß Ihnen diese journalistischen Arbeiten gemacht haben.

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