Zukunft hatte er noch vor sich — woran er lange zweifelte. Doch in den letzten Jahren, besonders durch die editon faust, die er poetisch mitbestimmte, drehte sich so leise sein höchsteignes Schicksalsrad, daß wir sagen müssen, er, der Freund, sei mit vierundsiebzig Jahren mitten aus dem Leben … nicht „gerissen worden“, nein! — sondern ihm und uns entfallen.
Nachdem ich aber den Nachruf Björn Jagers auf ihn las, bin ich unfähig, zu Harry noch etwas Eigenes zu schreiben — derart im unfassenden Sinn schön ist diese Trauerprosa. Dergleichen hab ich selten gelesen. Tun, Freundin, Sie es bitte auch: lesen über
einen verstorbenen Dichter:
2023/24
Vielleicht, daß er dazwischen rauhnachts weiterlebt – nun als Poet der Wilden Jagd.
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ANH, 8. Januar 2024
1
Wir sahen am Ufer ein Stück Stein.
Es ließ ihn das Halblicht vage ein Kind
und uns die Eltern, alte, sein,
die unter der Strömung, die da lind
über die Klippe flutete,
in ihm erkannten, was sie sind.
Da blutete der Abend auf uns nieder
und wieder, in einer linden Schnelle,
nahm‘s uns und sich im Dämmern fort
von diesem Ort.
2
Im Moldaugeklipp
unter den Strudeln
darinnen Fischlein trudeln
schwelt ein Gesicht
im Wurzelgelipp
Aus Stein und Wasser und Zeit
erglimmt eine fernste Vergangenheit
Erst das Gesicht, schon ein Geripp‘ –
Liebste, du erkennst uns nicht?
3
Die Dämmerung, am Flußrain, fiel
Kaum ein Hauch war in den Wipfeln
Auf den Gipfeln letztes Licht
Drunter stieg kühl ein Dunst an das Ufer
Drunter verging ein Gespenstergesicht
Warte nur, Geliebte, balde
waren auch wir beide nicht
4
Wir sahen ein Gesicht im Stein,
ein Kindergesicht in der Dämmerung
Es sah uns an und wollte sein
und war‘s und ward‘s und schwand
Wir standen lang noch Hand in Hand
aus:
Das Ungeheuer Muse
Gedichte
Arco 2018