Das Arbeitsjournal des Donnerstags, den 18. Januar 2024. Darin Sappholieder, 10: Bekannte Metrikprobleme.

[Arbeitswohnung, 10.33 Uhr
France musique, Concerts Radio France:
Bach, Präludium & Fuge g-moll BWV 535]
          Ich bin mit Arbeitsjournaleinträgen momentan zum einen zurückhaltend, weil ich an einem der Sapphotexte festhänge, der aber mit Sappho allein insofern zusammenhängt, als es die dem späteren Buch vorangestellte Zueignung sein soll, die ich in den Metren beider sapphischen Strophen, also minor und maior, zu schreiben probiere, wobei mir Schwierigkeiten eigentlich nur der MAIOR bereitet, der einleitende Pherekrateus allerdings ebensowenig wie der MINOR:

— ◡ ◡ — ◡ — ◠ (Pherekrateus)
— ◡ ◡ — x | ◡ ◡ — — ◡ ◡ — ◡ — ◡ (S. Maior)

Zum anderen steht vieles grad im Zeichen des Bamberger Lehrauftrags; gestern bekam ich einen Text zur ersten Hausaufgabe geschickt, den ich dann gleich durchlektorierte; hoffentlich war ich nicht zu streng, aber gerade diese Studentin ist bereits sehr weit, weshalb besonders auf Präzision und dergleichen geachtet werden muß. Dann ist so eine Seite voller Anmerkungen von mir — was erschreckend wirken kann, auch wenn es sich meist um Kleinigkeiten handelt.

          Aber erst mal das zweite Frühstück, heute selbstgeschnittene Sashimi. Es hat durchaus Vorteile, keinen Magen mehr zu haben, denn wer pro Mahlzeit eh nur wenig zu sich nehmen kann, dem (und der) ist es egal, daß der Maguro 45,80 pro Kilo kostet; mehr als 100 Gramm werden kaum benötigt, und selbst die teile ich auf zwei Mahlzeiten auf, indem ich um je eine halbe Avocado ergänze (pflanzliches Fett ist bekanntlich kein Problem, und davon hat sie einiges). Tatsächlich halte ich mein Gewicht mit täglich sechs solch kleinen Mahlzeiten – nur mit dem Müsli frühmorgens und dem Abendessen sind sie etwas umfangreicher – ziemlich konstant zwischen 69 und 70 Kilo, selten drüber und drunter allein auf Reisen, wenn ich meine Ernährungsroutine nicht umsetzen kann; an Lehrauftragswochenenden wie dem letzten rutsche ich regelmäßig auf 68 bis mitunter sogar unter 67 runter; das muß dann wieder aufgeholt werden. An solchen Tagen achte ich auch unbedingt auf meine fünf THC-Tropfen Dronabinol. Obwohl eine deutlich höhere Dosis verschrieben ist; bekifft kann ich aber nicht arbeiten. Also (die mir sonst komplett fremd ist:) Mäßigung. Und immer dreivier Eiweiß-Riegel dabeihaben, die ich auch im Seminar futtern kann, während die Studentinnen und Studenten an ihren Aufgaben schreiben.

          Doch zu Sappho zurück.

          Zweimal drei Sapphica minor, die mit einem maior beschlossen werden; vielleicht kommt noch eine dritte — im zeitgenössischen Sprachgebrauch[1]Westphal (1880) beharrt konsequent auf dem eigentlich richtigen, aus seiner Sicht dem antiken. —“Strophe“ hinzu; parallel lese ich → das da, hab mir sogar ein eBook draus geformt und werde es wieder und wieder lesen, also auswendig können müssen. Denn große Teile dieser „musikalischen“ Rhythmik behandeln antike Poetiken, darunter selbstverständlich auch Sapphos. Interessant dabei, daß viele ihrer Gedichte („Lieder“) im Vortrag entstanden; die große Schriftkultur war erst dabei zu entstehen. Jetzt, da sie zu verfallen beginnt, ähneln sich die Produktionsweisen von damals und heute — wenn ich mir etwa die künstlerische Praxis meines Rappersohns ansehe, aber auch schon beim Poetry Slam, nur daß es da – vorerst – nicht zu strengen Metren wie in der Antike kommt, oder nur selten. Dennoch habe ich den klaren Instinkt, es werde darauf wieder hinauslaufen. Daß meine eigenen Versuche nicht so wahnsinnig viel Zuspruch genießen, nun jà, ich sprinte halt voran (momentan allerdings schneck‘ ich so dahin), bin ein Scout, also Fährtensucher (und, glaube ich, -finder) und diese Spuren weisen zurück in die Zukunft. Wobei sich Geschichte eben nicht wiederholt, sondern, mit Mark Twain gesprochen, r e i m t.
Das Problem der Nichtübertragbarkeit antiker, also quantifizierender Sprachen mit unserer akzentuierenden bleibt allerdings. Genau deshalb ist es so sauschwer, die alten Metriken deutsch nach- oder, um Intention und Wille zu nennen, vorauszudichten. Ich kann nicht „einfach“ Wörter nach rhythmischer Notwendigkeit umstellen, also die Prosodie der Verse beliebig ändern, weil ich eben auch meine zeitgenössische Gegenwärtigkeit bewahren will. Schon bei Voss haben mich die prosodisch sozusagen stolpernden, allein nach Metrik gesetzten Wörter immer genervt.
Hier nur mal, aus der „Zueignung“ — in der eben „Zuneigung“ enthalten ist und also gleichzeitig gemeint sein muß —, die bislang je abschließenden beiden maior-Verse:

 

 

 

          Daß beides noch weit davon entfernt ist, optimal zu sein, ist mir klar. Deshalb will ich das Zueignungsgedicht auch noch nicht und auch nicht als „erster Versuch“ in Der Dschungel einstellen; ich gebe diese zwei Beispiele nur, um Ihnen zu zeigen, womit ich zur Zeit wirklich Stunde um Stunde beschäftigt bin; selbst bei den Sapphica minor habe ich an jeder Strophe je mehrere Tage gesessen — und hatte schließlich manchmal nicht mehr als eine Zeile fertig, die ich tags drauf oft wieder umwerfen muß, weil sich anderswo was verschiebt. Mit „Intuition“ hat alles dies nun wirklich nicht mehr zu tun, erst recht nicht mit künstlerischem Schaffensrausch.

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Sappholieder 11

Sappholieder 9

           Und morgen geht es bereits wieder nach Bamberg. Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt / Läuft die Zeit; wir laufen mit. (Wilhelm Busch)

Ihr ANH
[France musique Concerts Radio France:
Elgar, Sospiri op. 70]
16.12 Uhr

 




 

References

References
1 Westphal (1880) beharrt konsequent auf dem eigentlich richtigen, aus seiner Sicht dem antiken.

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