An einen Verleger

Guten Morgen, Herr Wirdhiernichtgenannt,

haben Sie Dank für Ihre informierende Mail. Ich bin nur leicht irritiert, weil sich Ihre Vermutung, mein  Beitrag „würde einen herrlichen Akzent gegen alle idyllischen Menschenbilder setzen“ doch rein logisch ein wenig mit „innerhalb dieses Rahmens“ und „eine innere Übereinstimmung im Einklang mit aktuellen unabhängigen emanzipativen Diskussionen“ stößt, zumal mit dem Nachsatz „Sittlicher Ernst“ sei gerade en vogue. Gerade in Bezug auf mein bisheriges literarisches Werk sollte eigentlich klar sein, daß mich, was gerade „en vogue“ ist, nicht nur nicht interessiert, sondern ich stehe Mainstreams, besonders moralischen, extrem skeptisch gegenüber. Adornos und Horkheimers Analysen der Kulturindustrie halte ich nach wie vor für essentiell. Ihnen entsprechend habe ich mich im Kulturbetrieb auch positioniert.

Desunerachtet bitte ich noch einmal um das Konzept des von Ihnen geplanten Bandes. Und gerne werde ich bei dem Zoomtreffen mit dabeisein. Denn tatsächlich glaube ich „idyllischen Menschenbildern“ nicht und werde zu ihnen ganz sicher nichts beitragen. Mich interessieren Ambivalenzen, auch tiefe und schwere, und ich habe sie in meinen Büchern immer wieder dargestellt. Dazu gehört, daß – ob neue, ob alte – „unhinterfragbare“ moralische Direktiven fast immer in neues, oft noch erschwertes Unheil führen, nicht etwa zu Befreiungen. Einen im Sinne des heutigen Zeitgeistes angepaßten Beitrag werden Sie von mir nicht erwarten können; das betrifft ganz besonders die derzeit stattfindenden Gender- und Identitätsdiskussionen. Um es mit einer meiner Romanfiguren, Deidameia in „Buenos Aires.Anderswelt“, zu sagen: “ Wir hingegen wollen so viele Welten wie möglich. Wir sind für Willkür, Hans Deters. Wir wollen Ekstase, nicht Ordnung. Dafür kämpfen wir, ja, auch mit Gewalt. Und meine Holomorphen… wenn sie sich wirklich autonomisieren wollen, müssen die Leidenschaft lernen. Das geht ihnen ausgesprochen gegen die Ontologie.“

In diesem Sinn grüßt Sie aus Berlin

Ihr ANH

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