Paul Reichenbachs Mittwoch, der 17. Januar 2007. Das Telefon.

Heute Nacht. Ein Traum: SIE reise.
Komm aus Berlin, muss ins Tessin
Murmelt SIE leise am Telefon.
Im Hotel. Am Saum der Nacht
Lacht eine Waise: Ich komme schon.

Verschreckt vom Klingklang des Telefons wachte ich auf. Noch im Halbschlaf und vom Aufstand der Hormone geplagt, taumelte ich zum Hörer. Nein, nicht SIE war das Gegenüber. Unser Sohn rief an, aus Neuseeland, die Zeitverschiebung hatte er völlig vergessen, seine Kreditkarte war ohne Substanz, und wollte Geld. Gott sei Dank nicht SIE, dachte ich, stand auf, warf den PC an, überwies 1000 Euro auf das Kartenkonto und überzog damit mein eigenes hoffnungslos. Neben meiner Tastatur lagen noch immer die ungelesenen „Briefe an meinen Vater“. Erst am Wochenende, fürchte ich, werde ich die Zeit finden sie mir näher anzusehen. Um wieder einschlafen zu können, suchte ich nach Lektüre. Und fand auf dem Schreibtisch von ihr, sie schlief tief: Dorothea Zeemann „Jungfrau und Reptil“, ich hatte es ihr unlängst empfohlen, und schlug nun willkürlich eine Seite auf. Gleich zu Anfang hatte sie eine Stelle unterstrichen, die mich dann restlos um den Schlaf brachte: “Ich habe Achtung vor Dir”, das sagt Rudolf. Das sagt Karl. Was fang ich damit an? Ich will den Respekt einer anständigen Erektion, nichts weiter.“ An wen wird Sie gedacht haben, als sie diese Zeilen mit dünnem Stift hevorhob ? Bin ich bei ihr Karl oder Rudolf ? Und ist da nicht einer zuviel ?

P.S. Beim Nachgrasen im Internet stieß ich auf ANHs Text über >>>Doderer

10 thoughts on “Paul Reichenbachs Mittwoch, der 17. Januar 2007. Das Telefon.

  1. Auch bei mir am Nachttisch liegt diese Zeeman, vor wenigen Wochen quasi antiquarisch, bei einem Bücherabverkauf des Stifterhauses in Linz, erstanden. Hätte ich die Angewohnheit, Sätze in Büchern, die nicht der unmittelbaren Arbeit dienen, zu unterstreichen, wäre es in diesem Fall nicht nur ein dünner Stift gewesen – um mein Erstaunen darüber auszudrücken, wie s e h r ein solcher Satz plötzlich, entgegen eingeübter Denkhaltung, plötzlich als richtig erfahren wird. Der genannte Respekt scheint auch >>>Traumata zu vagen Träumen zu verdünnen.

    1. Gestern 3sat – heute Zeemann. Es ist Zufall, dachte ich heute morgen, als ich Ihren >>>Eintrag über den Film “Der Nachtportier” las. War ich doch, den Film kannte ich noch nicht, von seinem Thema sofort fasziniert. Es scheint nur zufällig, ergänze ich heute abend… Aus dem Geflecht von Erotik und Kunst gibt es kein Entrinnen, schreibt >>>Steppenhund in seinem Kommentar zu ihrem Beitrag. Wie wahr !

    2. Ich muss mich fragen, ob dysfunktionale Erektionsstörungen mit Mangel an Respekt zu tun haben. Möglich wäre es ja. Es würde insinuieren, dass es immer noch eine gibt, bei der es noch klappt.
      Wie sieht die Angelegenheit im Falle eines Prostatakrebs aus. Die Prostata wird entfernt, hundertprozentiges Erektionsversagen ist hochwahrscheinlich. Ja, vermutlich liegt es dann eher am hormonell bedingten Libidodefizit.
      Der Respekt gegenüber allen Frauen erlischt schlagartig. Woraus sollte er auch genährt werden? Die Hauptantriebsfeder ist erloschen. Über einen Geiger, der gerade ein Stück vortrug, flüsterte ein Bekannter: es scheint zu stimmen: wenn die Potenz weg ist, ist auch der Strich weg.
      Es könnte sein, dass gerade ein Bekenntnis zu einer derartigen Erwartungshaltung jeglichen Respekt tötet. Aber es kann dann sehr erleichternd wirken, wenn man endlich die Kausalität begreift.

    3. Es gibt kein Entrinnen … Und das erschreckt in einigen Zusammenhängen schon sehr. Glauben Sie mir. Das Zeemann-Zitat mag überspitzt klingen. Aber es für mich ein Satz, der aus einer Not entspringt.

    4. @Steppenhund Dysfunktionale Erektionsstörungen ? Ich glaube nicht, dass Frau Zeemann allein darauf abhob, als sie vom “Respekt” sprach. Kunst, Kreativität und Libido hängen eng zusammen, der “Strich” ist weg, wenn die Lust fehlt, da hat ihr Bekannter sicher recht.

    5. @ConAlma Vielleicht doch. Die Erektion als Demaskierung des Körpers, der wiederum als Übersetzer einer Begehrlichkeit dient. Ich kann den Satz nur so verstehen.
      Für mich ist Respekt eine notwendige Bedingung für Liebe.

    6. Respekt, Begehren, Unentrinnbarkeit, Verkrampfung Ich habe etwas gestöbert und fand >>>hier diesen Satz:

      Verzicht ist autoaggressiv: verdrängt kehrt er anderswo wieder. Und verletzt den geliebten Partner dann doch., der mich weiter denken machte.

  2. Der Text über Doderer geht mit ihm ja recht hart ins Gericht. Man wird weniges entgegnen können außer eben auf den Umstand hinweisen, dass Dichter und Werk sogar dann zu trennen sind, wenn sich der Dichter derart stark verankert wiederfindet.
    Die Szenen in der Strudelhofstiege sind allerdings nicht lustlos.
    Sinkt man tief genug ein, so öffnen sich Verbindungs-
    Stollen nach überall hin. Dass untergründig alles mit allem zusammenhängt, wird ge­
    radezu leitmotivisch durchkonstruiert und ist gut denkbar wiederum wegen des fato­
    logischen (semantischen) Modells. Schwimmst wie ein Blatt am Wasser, mit Adhäsi­
    on an der Oberfläche, und augenlos über der Tiefe.

    Zwar gibt es in Doderers Romanen durchaus Hauptpersonen, aber es ist auffällig,
    dass nahezu jede Figur gewissermassen auf dem Sprung ist, selber Hauptperson zu
    werden. So dass sich Doderers zentralistisches Denken selbst ständig aus dem
    Zentrum schleudert. Um so stärker wird Doderers Anstrengung, das Modell in seine
    Balance zurückzuzwingen, – und aus ebendieser Spannung beziehen die Romane ihre
    enorme Attraktivität: jedes Gebilde ist Compositionsglied eines weiträumigeren.

    Ja, diese fett hervorgehobene Beobachtung umfasst die gesamte Rezension, bildet sie quasi in sich selbst ab, denn dieselbe folgt dem gleichen Duktus. Doderer verewigt sich dadurch in dem, was man über ihn schreibt. Mit seinem Leben und seinem Werk zusammen formt er den Rezensenten zu einem neuen Doderer, der Rene Stangeler aus einer anderen Dimension beschreibt.
    Reizvoll.

    1. doderer und die lust das ganze werk doderers, das ich bislang gelesen habe, ist von lust durchflochten, da bemerke ich nichts von zurückhaltung oder gequältheit. die beschreibung detaillierter vorgänge auf metapherndurchflochtener prosaweide ist lediglich eine persönliche autobiographische beimengung in der extatischen wortmusik, die doderer uns geschenkt hat.
      und die extase der wortkonstruktionen ist auf eine weise hemmungslos, keusch und auch lustvoll, dass es mir beim besten willen nicht gelingt, in ihm das ekel zu sehen, das manche zeitzeugnisse mir nahelegen wollen (enttäuschte sekretäre, intelligente geliebte, beschissene schnappschuss-fotos).
      der mann hat das leben geliebt; und das lieben gelebt. mit jedem wort, das er schrieb. dass er für frau zeemann hin und wieder auch eine anständige erektion parat hatte, ist doch eine nette geste…

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