Paul Reichenbachs Dienstag, der 19.September 2006. Das Futteral.

Der Schrecken kam schleichend. Geräuschlos. Weder ich noch sie hörten ihn.
Saßen wir doch gestern Nachmittag bei Kaffee und Kuchen am Tisch, sie hatte Geburtstag, zwei Nachbarinnen waren zu Gast, als ein scharfer, kurzer Luftzug
durch unsere Wohnstube zog. Unsichtbar für die drei Frauen und mich, einzig mein Nackenhaar kräuselte ein wenig,, suchte er sich einen Platz. Sein Aussehen glich einem Futteral, das offen und völlig leer, wie vergessen, im Bücherregal auf >>>Cechovs Erzählungen ruhte. Die Innenseiten des Etuis, ausgeschlagen mit rotem Samt, leuchteten in der milden Herbsonne, die den Raum in warmes, bronzenes Licht getaucht hatte. Während die Frauen Kaffee schlürften und, unterbrochen von einzelnen Sprachfetzen, Kuchengabeln klapperten hörte ich es flüstern. Komm heim, raunte es. Leg dich in meinen Samt. Sei mein. Unsicher stand ich auf, entschuldigte mich bei den Damen und meiner Frau, ging auf Anton Pawlowitsch zu, nahm das Futteral und legte meine Brille hinein Mit einem leisen Click schloss es sich und verliess unbemerkt den Raum.

Wenige Minuten später setzte sich eine männliche Person, ungefähr mein Alter, in einem Wäldchen, nahe unserem Haus, auf eine Bank; holte ein Etui aus ihrer rechten Jackentasche, öffnete es, griff nach der samten gebetteten Brille und schob sie sich auf die Nase. Aus der linken Tasche zog sie ein kleines gelbes Reclamheft, schlug es auf und begann zu lesen. Irgendwo in der Ferne kläffte ein Hündchen…

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