Paul Reichenbachs Donnerstag, der 7.September 2006.Das Leben: Ein Als-ob, ein Wenn und Kaum.

Pues el delito mayor
del hombre es haber nacido.

Denn die größte Schuld des Menschen ist, dass er geboren wurde.
Aus : Calderon ” Das Leben ein Traum” 1.Akt 2. Szene.

Nein. Da kann Schopenhauer noch so oft Calderon leiernd zitieren. Was kann ich denn dafür, dass schon meine Geburt zum bürokratischen Desaster geriet. 2 Geburtsurkunden mit unterschiedlichem Ausstellungsdatum habe ich in meinem persönlichen Ordner abheften müssen. Die erste, ausgestellt vom Standesamt meines Heimatortes, beurkundet den Namen Paul Gerhardt. Das ist nicht zum Lachen und ein Choral muss darüber auch nicht gesungen werden. Meine Mutter heiratete, warum konnte sie mir bis heute nicht erklären, 1944 einen Artisten Gerhardt, der in dem kleinen Städtchen, wo ich aufwachsen sollte, seine Frontverletzungen ausheilte. Nicht alle Artisten waren beim Frontheater. Ihr Mann, ein gutkatholischer Zirkusmensch aus dem Spessart (was es alles gibt!) musste jedenfalls zwei Tage nach der Hochzeit an die Westfront. Die Ardennenoffensive brauchte einen Messerwerfer, um Durchschlagskraft entfalten zu können. Das Ergebnis, Gott sei es gedankt, kennen wir. Seit der Zeit sah sich das frisch getraute Paar nie mehr. Nach dem Krieg reichte meine Mutter die Scheidung ein. Mein Vater hatte sich schon bei uns eingenistet, in den Urkunden der Sowjetischen Besatzungszone, wurde er als Reichsdeutscher, geboren 1918 in Pressburg, ausgewiesen, obwohl der Anteil slowakischen-ungarischen Blutes garantiert höher, als der Deutsche war. Er hieß seltsamer Weise Siegfried und sprach fast alle slawischen Sprachen. Zu der Zeit arbeitete er bei der russ. Kommandantur als Dolmetscher, erzählte mir später meine Mutter. Die Scheidung von dem Artisten zog sich lange hin. Als guter Katholik wehrte der sich gegen die Auflösung der Ehe. Ja – er erkannte sogar mich als seinen Sohn an, was einer Fernzeugung gleichgekommen wäre. Mein Vater, der ebenfalls sofort die Vaterschaft anerkannte, wurde offenbar von den Behörden nicht ernst genommen. Und so kam es, dass ich als Säugling, vertreten durch meinen Großvater, mütterlichseits, meine erste gerichtliche Klage einreichte. 3 Jahre später hatte ich eine neue Geburtsurkunde, die mir meinen jetzigen Namen und meine außereheliche Geburt bescheinigte. Meinem biologischen Vater dauerte das alles zu lange, er zog weg, heiratete und bis zum 14. Lebensjahr brachte die Post per Postanweisung 45 DM (Ost). Alle zwei Väter waren Phantome für mich, in die ich mich als Junge träumte. Ich schlug Räder, übte mit Bällen jonglieren und lernte begeistert Russisch. Und noch mal Calderon:

Was ist Leben? Raserei!
Was ist Leben? Stein und Schaum!
Ein Als-ob, ein Wenn und Kaum,
klein dem Haben, groß dem Streben.
Traum ist dieses ganze Leben,
und die Träume sind ein Traum.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .